Wenn Hundertjährige ihr Jubiläum feiern, dann gibt es meist Post vom Bundespräsidenten und einen Blumenstrauß von dem/der Bürgermeister_in überreicht. So manche Jubilare aber feiern ein Fest. So wie Midgard, die sich selbst zum 100. Geburtstag ein kleines Fest schenkten. Wir waren in Ottensen beim „Feierabend“ dabei und verraten euch jetzt, wie es so war bei Midgard 100, dem Geburtstag des vielleicht ältesten Startups der Welt.
Ein Jahrhundert Midgard, vier Jahre Hamburg
Einen schöneren Spätsommertag konnte man in Hamburg-Ottensen eigentlich nicht haben. Die Sonne schien, in der Luft der Hansestadt lag eine angenehme Frische, wie man sie nur mit Beginnendem Herbst spüren kann und beim Bäcker lag am späten Nachmittag noch genau ein Franzbrötchen in der Auslage. Beste Vorzeichen für den kommenden Abend in der alten Fischräucherei, in der sich die Räume von Midgard befinden. Erst seit kurzem ist Midgard hier, einige Jahre und Geschäftsführer_innen zuvor befand sich der Unternehmenssitz im thüringischen Auma. Heute aber geht es um das hier und jetzt. Auf dem Programm für den Abend stehen ein Dinner im Schein orangeroter Tischleuchten, ein Podiumsgespräch mit drei Designexpert_innen und der Launch der Typ 113.
Dinner und Designtalk bei Midgard 100
Unweit vom Bahnhof Altona, in einem Hinterhof gelegen, liegen die Räume von Midgard. An diesem Abend versammelt sich hier eine illustre Schar an Gästen, die gemeinsam mit Joke Rasch und David Einsiedel, den beiden Geschäftsführern von Midgard 100 Jahre Designgeschichte feiern. Das Ambiente ist geprägt vom Industriellen Charme der Räume: Hohe Decken, an denen große, schnörkellose Fabrikleuchten hängen. An den Seiten und mitten im Raum stehen und klemmen überall die verschiedensten Midgard Leuchten, neue Reeditionen wie auch alte Originale. Beim gemeinsamen Abendessen kommt kein Fisch auf den Tisch, dafür aber werden das Essen und die Tischnachbarn stilsicher ausgeleuchtet.
Midgard am Bauhaus und Neue Wege
Im Anschluss folgt der Designtalk. Moderiert von Gabriele Thiels sprechen die Gäste Thomas Edelmann (Journalist, Licht-und Designexperte), Stefan Diez und Lina Fischer (beide Designer, Studio Diez) über den Ursprung des Lichts. Thomas Edelmann spricht über die Anfänge von Midgard, die Überschneidungen mit dem Bauhaus und die ungewöhnliche Stellung, die die Midgard Leuchten bei den legendären Formgebern innehatten. Midgard und das Bauhaus feiern in diesem Jahr beide ihr 100. Jubiläum, doch sind beide unabhängig voneinander entstanden. Die Bauhäusler, die sonst alles neu und anders gestalten wollen, wissen die elegante und flexible Midgard Leuchte zu schätzen.
Auf Bildern wird während der Podiumsdiskussion gezeigt, wo sie überall zu finden war. Im Direktorenzimmer und in den Privaträumen von Walter Gropius, Im Atelier von Lyonel Feininger. Und Marcel Breuer setzte ein ganz bestimmtes Modell immer wieder in seinen Inneneinrichtungen ein – die Midgard Typ 113. Diese spielt an diesem Donnerstagabend in Hamburg noch eine ganz besondere Rolle. Aber dazu später mehr. Nach der Einordnung der Midgard-leuchten in den Design Kanon gesteht ausgerechnet der so Fortschrittsaffine Stefan Diez, dass er sich ein Office ohne Schreibtischleuchte nicht so recht vorstellen mag. Vielleicht auch deshalb steckt er hinter dem ersten neuen Entwurf für die wiederauferstandene Manufaktur.
Midgard 113 Leuchte
Bevor im kommenden Jahr jedoch die erste Neukreation vorgestellt wird, steht ein anderes Modell im Fokus. Die Feier zu Midgard 100 nehmen David und Joke auch zum Anlass, die in einer limitierten Stückzahl neu aufgelegt Typ 113 vorzustellen. Typ 113, das ist die Leuchte, die von den Bauhaus-Designern selbst geschätzt, um nicht zu sagen verehrt wurde. Marianne Brandt schreibt zu ihr in ihren Memoiren: „Beneidet haben wir die Erfinder des Armes der Midgardleuchte – unsere Kandem-Lampe war ja auch verstellbar, aber eben nicht so elegant.“ Und in der Tat, der geschwungene Arm dieser Leuchte ist etwas Besonderes. Einem Schwanenhals gleich verbindet der Arm aus Metallrohr Klemme und Schirm.
Am Abend sind die Gäste live dabei, wie das zweite Exemplar der auf 100 Stück limitierten Reedition der Typ 113 montiert wird. Die charakteristische Bogenform der Peitsche wird bei Thonet in Frankenberg, dem traditionsreichsten deutschen Hersteller von Stahlrohrmöbeln, gefertigt. Ihren metallischen Glanz erhalten wichtige konstruktive Teile durch Vernickelung. Auch hier folgt die Reedition der Herstellungsweise des Originalmodells. Denn das ist bei Midgard wichtig: Die Neuauflagen sollen so gut sein wie das Original. Oder besser. Dort hinzugelangen, ist ein Prozess, der Ausdauer und Gespür benötigt. Aber das scheinen die jungen Inhaber von Midgard zu haben.
Midgard 100: Das MoMA und die Saga des lenkbaren Lichts
Wie wichtig die Typ 113 in der Geschichte der Manufaktur ist, betont David Einsiedel an diesem Abend zur Feier von Midgard 100 immer wieder. Originalexemplare gibt es nur noch wenige, selbst im eigenen Archiv steht nur eine einzige. Das MoMA (Museum of Modern Art) in New York hatte gefragt, ob sie dieses nicht für ihre Sammlung haben könnten. Doch das verneinten die Hamburger. Dieses Modell, das von Marcel Breuer und Laszlo Moholy-Nagy, um nur zwei zu nennen, so geschätzt wurde, kannte man in New York bis dahin noch nicht. Erst als man Bilder aus dem umfangreichen Archiv per Mail an die Kuratoren schickte, erkannten diese deren Bedeutung.
Nun ist man auf der Suche nach einem weiteren Original, das dem Museum gespendet werden könnte. Das ist noch längst nicht das Ende der Geschichte von Midgard. Aber zumindest das Ende des Abends in Hamburg. Und wer zufällig irgendwo auf einem Flohmarkt oder einem Dachboden noch eine echte Typ 113 findet, darf sich gerne in der alten Fischräucherei in Ottensen melden.
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