Was war zuerst da, das Licht oder die Feder? Im Falle der quintessentiell englischen Anglepoise Federzugleuchten muss die Antwort lauten: Die Feder. Flexible Leuchte und lenkbares Licht tauchte erstmal 1919 als Werkstattleuchten auf. Sie erleichtern das Arbeiten in dunklen Werkhallen, ziehen alsbald aber auch in Büro und Wohnung ein.

Anglepoise Original 1227™ Giant Floor Lamp – die ikonischen Anglepoise Federzugleuchten gibt es auch im XXL-Format.
Anglepoise: Lenkbares Licht auf Englisch
In den frühen 1930er Jahren ist man beim britischen Metallunternehmen Herbert Terry & Sons auf der Suche nach einem neuen Anwendungsbereich für das Kernprodukt: Metallfedern. Nicht irgendwelche Federn, sondern eine neue Art von Zugfeder, die sich in jede Richtung bewegen lässt und dabei nichts von ihrer Festigkeit und Zugkraft verliert. Und so beauftragen sie einen Industriedesigner aus der Automobilsparte damit, ein Produkt zu entwerfen, das die Zugfeder innovativ einsetzt. 1932 beantragt George Carwardine aus Bath ein Patent für eine Federzugleuchte, für die Terry’s 1934 die Lizenz erwirbt. Ein euer Nutzen für Federn war gefunden und eine britische Designikone erblickte das „Licht der Welt“.

Vom Automobilingenieur zum Leuchtenerfinder. 1932 reichte George Carwardine die Anglepoise Federzugleuchte zum Patent ein.
Ab 1935 ist die Anglepoise, zu Deutsch etwa „Winkelbalance“, auf dem Markt. Zunächst hatte man die Anglepoise Federzugleuchten unter dem Namen „Equipoise“ (auf Deutsch übersetzbar mit Gleich- oder Gegengewicht) anmelden wollen, was vom Patentamt jedoch abgelehnt wurde, weil es als Wort bereits existierte. Die ersten Exemplare waren für den Gebrauch in Werkstätten gedacht, was insbesondere daran zu erkennen ist, das frühe Ausführungen eine gesprenkelte Lackierung hatten. Zwischen Funkenflug und Staub im Werkstattmilieu war das ein Vorteil. Im Wohnraum allerdings wurde eine gleichmäßige, glänzende Lackierung bevorzugt. Zum Teil wurde bei alten Anglepoise Leuchten deshalb die Lackierung entfernt, weshalb diese frühen Leuchten im Originalzustand heute eine echte Rarität sind.

Typisch für die Anglepoise Federzugleuchten sind die drei Federn am unteren Teil der Leuchte und der sich nach oben verjüngende Leuchtenkopf.
Carwardine und Terry erkannten schon früh das Potential der Anglepoise Federzugleuchten für den Einsatz im Wohnraum. Nur war die ursprüngliche Leuchte mit ihren vier Federn etwas zu groß und erinnerte optisch zu stark an Industrieleuchten, um wirklich im Interior anzukommen. 1935 brachten sie deshalb eine Variante mit 3 Zugfedern am unteren Leuchtenarm heraus – die Original 1227™, selbiges Modell, das heute als klassische Anglepoise Leuchte genutzt und geliebt wird.
Anglepoise Federzugleuchten: Das Design
Die Grundidee von George Carwardine war der flexible Leuchtenarm, der in seiner Beweglichkeit als auch Form vom menschlichen Arm inspiriert ist. Am oben Ende befindet sich ein Leuchtenkopf, der das Licht zielgerichtet ausstrahlt. Das Stromkabel verläuft sowohl außen entlang als auch durch das Metallgestell. Die Zugfedern ermöglichen es, dass sich der Leuchtenarm, nicht unähnlich einem menschlichen Arm, bewegen lässt. Das innovative an der Entwicklung der Anglepoise Leuchten in den 1930er Jahren war, dass sich das Licht mit dem Druck eines einzelnen Fingers quasi in jede beliebige Position lenken ließ – und diese dann auch hielt. Carwardine erkannte, dass dieser Mechanismus ideal für Arbeitsleuchten war. Auch andere lenkbare Leuchten lassen sich stufenlos verstellen, beruhen mitunter aber auf anderen Konstruktionsprinzipien.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Anglepoise schnell zum Erfolgsprodukt. Sie wurde in Arztpraxen eingesetzt, in Werkstätten, Schulen und Büros. Und natürlich als Schreibtischleuchte, im beruflichen als auch privaten Kontext. Dort ist sie heutzutage wahrscheinlich am häufigsten anzutreffen.

Sir Kenneth Grange ist seit 2003 Artistic Director bei Anglepoise.
2003 wandelte sich die Herstellerfirma und benannte sich nach ihrem Erfolgsprodukt um in Anglepoise. Das Design der Anglepoise Federzugleuchten wurde unter Kenneth Grange als Design Direktor der Marke neu aufgelegt. Ganz behutsam und nach ursprünglichem Entwurf wurde jedes Bauteil leicht überarbeitet, um den Anforderungen des neuen Jahrtausends gerecht werden zu können. Dennoch verkörpern auch die neuen Anglepoise Leuchten die Geschichte und das Erbe der ikonischen britischen Federzugleuchten.

Moderner Look für eine Arbeitsleuchte mit historischem Erbe. Die Typ 75™ Leuchten zeichnen sich durch ihr reduziertes Design aus. Die Konstruktionsprinzipien der ursprünglichen Leuchten aber sind auch bei ihnen erhalten geblieben.
Der Designklassiker heute
Neben klassischen Anglepoise Federzugleuchten ergänzen heute auch Wand-, Steh- und Pendelleuchten die jeweiligen Kollektionen beim britischen Traditionshersteller. Mit steigendem Interesse an Designklassikern und Mid-Century Design hat Anglepoise reichlich Zuwachs an Fans und Kunden bekommen. Vor einiger Zeit hat das Unternehmen mit einer anderen Ikone des britischen Designs zusammengearbeitet, dem Modedesigner Paul Smith, und mit ihm eine farbenfrohe Kollektion der Type 75™ Desk Lamp auf den Markt gebracht.
Die Anglepoise Leuchte feierte im vergangenen Jahr ihren 85. Geburtstag. Zehn Jahre zuvor wurde sie bereits mit einer eigenen Briefmarke von der Royal Mail als zeitlose „British Design Icon“ geehrt. Ob man ihr zum nächsten Jubiläum den Titel als offizielle Leuchte ihrer Majestät verleihen wird? Designer Kenneth Grange wurde zumindest 2013 schon zum Ritter geschlagen und darf sich jetzt Sir Kenneth Grange nennen. Vielleicht kann die Federzugleuchte auch in den Ritterstand erhoben werden?
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