So ein Auslandsjahr während des Studiums kann weitreichende Folgen haben. Neue Sprachen lernen, Kontakte knüpfen, sich ausprobieren – so vieles ist möglich. Im Fall der Dänin Stine Gam führte sie ihre Auslandsjahr während ihres Architekturstudiums ins italienische Ferrara und zu ihrem heutigen Lebens- und Arbeitspartner Enrico Fratesi. Nach Abschluss des Studiums kehrte Stine nach Dänemark zurück und Enrico folgte ihr in den Norden. 2006 gründeten sie in Kopenhagen das gemeinsame Studio GamFratesi und sind seitdem aus der dänischen Designwelt nicht mehr wegzudenken. Quasi im Sturm haben die beiden ausgebildeten Architekten die Herzen zahlreicher Hersteller erobert. Längst spielen sie in einer Liga mit Cecilie Manz, Patricia Urquiola und Ronan und Erwan Bouroullec.
Bei GamFratesi liegen Italien und Dänemark direkt beieinander
Stine Gam und Enrico Fratesi kommen beide aus sehr designaffinen Ländern: Dänemark bzw. Italien. Dänemark ist bekannt für ikonisches Mid Century Design und tief verwurzelt in der skandinavischen Möbeltradition, Italien verdankt unteranderem seinen großen Meistern und Designbewegungen wie Memphis seinen Ruf. So unterschiedlich diese an sich in ihrer Form sind, so sehr hegen beide Länder doch einen großen Stolz für Handwerk und Manufakturen. Das ist es auch, was die Arbeit von GamFratesi eint. Oder, um es mit den Worten von Enrico Fratesi zu sagen: „Italien und Dänemark haben beide eine große Designgeschichte. Wir versuchen, diese Einflüsse zu kombinieren, dabei aber auch spontan zu bleiben. Ästhetisch strebt unsere Arbeit danach, ehrlich, natürlich und bescheiden zu sein.“
In Interviews mit dem Designduo GamFratesi taucht immer wieder die Frage auf, wie viel Italien bzw. Skandinavien denn in ihren Entwürfen stecke. Dabei sprechen ihre Designs eine ziemlich klare Sprache. Und so lautet sie Antwort der beiden Designer dann, dass die Formsprache sehr klar, einfach und skandinavisch ist, die Emotionalität der Möbel aber wohl Ausdruck der italienischen Designtradition ist.
Langlebige Produkte und menschliches Design
Ist das also das Rezept des Erfolgs ihrer Entwürfe? Sicherlich zum Teil. Sie schaffen alltagstaugliche Produkte, die nicht nur schlicht und funktional sind, sondern auch eine emotionale Komponente bedienen. Das Designduo GamFratesi legt Wert darauf, unprätentiöse Produkte zu gestalten, die den Menschen dennoch berühren und mit ihm interagieren. Produkte, zu denen der Benutzer eine Bindung aufbaut, eine persönliche Beziehung. Das führt beim Nutzer auch dazu, dass er die Dinger mehr schätzt, lange behält und dadurch weniger kauft. Und so sind die Entwürfe von GamFratesi nachhaltig, ohne auf besonders nachhaltige Materialien zu setzen.
Leises Design ist auch ein Statement
Klassisch sind sie bei weitem nicht, aber dafür alltagstauglich und weder laut noch extravagant. Das Augenmerk liegt auf diskreten, subtilen Designs, die sich nicht in den Vordergrund drängen, aber als Möbel sehr erdend sind. Ein gutes Beispiel für dieses Qualität ist das Silhouette Sofa, das das inzwischen verheiratete Paar für HAY entworfen hat. Das Sitzmöbel verfügt über stattliche Maße, wirkt aber dank seiner schlanken Wände keineswegs massiv. Die tiefen Sitzflächen laden ein zum Abtauchen, besonders bei der hoch umschlossenen Variante. Damit eignet sich das Sofa sowohl im öffentlichen Bereich wie auch Zuhause. Das Silhouette Sofa von GamFratesi für HAY ist vielleicht so etwas wie die Polstermöbel gewordene leise Selbstsicherheit – es weiß um seine Qualität, posaunt es dennoch nicht laut hinaus.
GamFratesi und die Sache mit der Proportion
Beim Sofa wird es deutlich, aber auch beim Beetle Chair für Gubi: Auf die Proportionen kommt es an. Das dürfte den zweiten Teil des Erfolgs des Duos ausmachen. Sie wissen, wie man Proportionen ausgleicht. Nichts an ihren Designs wirkt zu groß, zu klein oder gar zu dick. Nehmen wir als Beispiel den Beetle Chair. Sie wollten einen Stuhl erschaffen, in dem man sich selbst am Esstisch geborgen fühlen kann und der eine gewisse Flexibilität mit sich bringt. Sie haben nicht von Anfang an nach einem Käfer als Inspiration gesucht, sind bei der Recherche aber auf die Panzerform gestoßen. Sie interpretieren mit ihrem Stuhl die harte und charakteristische Schale und Struktur des Insekts nach. Auch nach dem Motto: Harte Schale, weicher Kern. Und so ist die Rückenlehne beim Beetle Chair etwas größer als üblich geraten, damit sie Komfort und Schutz bietet. Das Gestell erinnert mit seinen dünnen Beinen und der Federung ebenfalls an den Unterbau gepanzerter Insekten.
Geteilte Arbeit ist gemeinsame Arbeit
Gibt es eine klare Aufgabenteilung bei den beiden? Und wissen sie am Ende noch, wer welchen Einfall hatte? Wohl eher nicht, denn letztlich arbeiten die beiden immer zusammen, auch wenn es auf Grund der zahlreichen Projekte immer mal wieder zur Arbeitsteilung kommt. Das liegt auch daran, dass Stine Gam und Enrico Fratesi viel mit einander Kommunizieren. Das reden über Ideen und Konzepte ist fester Teil ihres Designprozesses. Sie sind eng miteinander verbunden, sind sowohl privat als auch beruflich Partner und haben darum eine symbiotische Arbeitsweise. Beim niederländischen Designerpaar Scholten & Baijings ist das nicht anders.
GamFratesi versuchen, so viel wie möglich miteinander zu arbeiten. Nicht immer läuft der Designprozess bei ihnen gleich ab, er beginnt jedoch immer mit reden. Miteinander. Viel. Am Ende steht meist ein einfach aussehendes Ergebnis, dahinter steckt jedoch ein komplexer Prozess. Dazwischen liegen Handskizzen, Computerrendering, noch mehr Handskizzen, Modelle und so weiter und so fort. Die vermeintliche Einfachheit ihrer Designs ist das Ergebnis echter Arbeit.
GamFratesi ist mehr als nur Möbeldesign
Das diese sich lohnt, zeigen die Produkte, die sie für namhafte Hersteller wie Louis Poulsen, Dedon, Gubi, Ligne Roset oder Royal Copenhagen schon entworfen haben. Daneben setzen sie auch ganze Interior Projekte für Kunden um. Und während des Salone del Mobile in Mailand haben sie bereits mehr als einmal Ausstellungen kuratiert und konzipiert. Fast scheint es so, als bewegten sie sich gerade ein wenig zurück in die Richtung ihres Studiums. Denn zum Produktdesign sind die gekommen, weil sie ihre Detailverliebtheit in der Architektur nicht ausleben konnten. Dafür waren die Dimensionen einfach zu groß. Also wurden die Projekte immer kleiner und kleiner. Bis sie schließlich beim Produkt- und Möbeldesign ankamen. Vielleicht gestalten sie keine Häuser mehr, dafür jedoch ab und an ein paar Räume. Und das mit Bravour, wie das Restaurant Verandah in Kopenhagen zeigt.
In Kopenhagen bzw. Dänemark fühlt sich der Italiener Enrico Fratesi inzwischen in jeglicher Hinsicht zuhause. Nicht zuletzt, weil ihm die Designprämisse der Skandinavier so nah steht. Die stellen sich nämlich vordergründig bei jedem neuen Möbel die Frage: Wozu ist das Möbelstück später einmal da? In der italienischen Tradition taucht diese Frage oft nicht auf, wie er berichtet. Stattdessen sind Möbel hier ein gestalterisches Manifest. Statement geht hier vor Funktion – und das ist alles andere als im Sinne von GamFratesi. Davon werden sie wohl auch in Zukunft nicht abweichen.
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[…] Infos zum Designerduo GamFratesi hier im […]
[…] dänische Designduo GamFratesi ist sehr beschäftigt. Das gemeinsame Designstudio von Stine Gam und Enrico Fratesi ist […]
[…] arbeitet mit dem dänisch-italienischen Design-Duo GamFratesi, der beiden Architekten Stine Gam und ihrem Partner Enrico Fratesi, seit den Anfangstagen ihres […]