Belgien, das ist dieser kleine Nachbar im Westen, über den viele in Deutschland wenig oder gar nichts wissen. Dabei hat das Land im Taschenformat so viel zu bieten. Nicht nur ist es so etwas wie Europa in Miniatur (nicht zuletzt, weil die EU hier zahlreiche Institutionen hält und die belgische Hauptstadt einer der drei Sitze des Europa Parlaments ist), Belgien birgt einen wertvollen Schatz an Kunst, Architektur und Design.
Die Belgier mögen es geometrisch
Statten man seinen belgischen Nachbarn einen Besuch ab, drängt es sich quasi auf, dass dieser kleine Flecken Erde einen eigentümlichen Bezug zu Design hat. Beweisstück A: Die Pommes Frites. Irgendwann ist ein Belgier mal jemand auf die Idee gekommen, der organisch-runden Kartoffel eine längliche, geometrische und quasi einheitliche Form zu verpassen. Wie geht das am besten? In dem man Stäbchen draus schnitzt und sie zur Formerhaltung zweimal frittiert. Das Design beginnt in augenscheinlich also Belgien schon beim Essen.
Beweisstück B: Der Ziegelstein. Jetzt ist der Klinker keine belgische Erfindung, aber die Wallonen und Flamen pflegen ein sehr inniges, zuweilen merkwürdige Blüten treibendes, Verhältnis zu diesem Baumaterial. Der große Teil der Häuser dort ist aus Ziegeln oder zumindest verklinkert. Übertroffen werden die Belgier in ihrer Liebe zum Ziegel nur von den Engländern. Die aber gehen konformistischer mit ihnen um. Der tumblr-Blog Ugly Belgian Houses verrät im Handumdrehen, was wir damit meinen.
Reiche Geschichte voll Kreativer
Aber Spaß bei Seite, der kleine Nachbar im Westen hat in Sachen Design und Architektur eine große Tradition. Victor Horta (der Meister des Brüsseler Art Nouveau) und Henry van de Velde (ein Wegbereiter dessen, was wir heute als Bauhausschule verstehen und Designer des Logos der Belgischen Eisenbahn) sind zwei bedeutende Architekten und Designer aus dem Ende des 19. Jahrhunderts und zählen bis heute zu den einflussreichsten Formgebern der Zeit. Sie und Künstler wie Peter Paul Rubens und René Magritte ebneten den Weg für eine sehr breite Palette an zeitgenössischen Designern, die sich in den verschiedensten Disziplinen spezialisiert haben.
Brüssel gilt unter Architekturfans als Hauptstadt des Art Nouveau und Art Deco. In Antwerpen hat die Königliche Designakademie den Ruf, die aufregendsten Designer unserer Zeit auszubilden. Und Leser klassischer Comic-Hefte stöbern in den Comicläden des Landes, die voll sind mit den Geschichten von Lucky Luke, Tim & Struppi und den Schlümpfen. Fast scheint es so, als habe die Kreativität es sich in Belgien besonders gemütlich gemacht.
Designfokus Belgien – Europa im Designformat
Schaut man sich den „Belgischen Wohnstil“ an, fällt auf, dass der alles andere als einheitlich ist. Unser Designfokus Belgien versucht trotzdem, ein paar stilistische Gemeinsamkeiten herauszufiltern. Da ist zum Beispiel die weiße Wand. Ähnlich wie in Frankreich besteht das Mobiliar eher aus in verschiedenen Lebensphasen zusammengesammelten Stücken als aus einem uniformen Look. Die weißen Wände helfen, dem Ganzen eine Bühne und einen Rahmen zu geben. Klassiker des modernen Designs wohnen hier ganz selbstverständlich neben studentischen DIY Projekten und Fundstücke vom Flohmarkt.
Mit Mustern hält man sich eher zurück, dafür wird bei den Materialien auf Haltbarkeit und Qualität geachtet. Im Interieur gibt es immer wieder sichtbare Parallelen zur gesellschaftlichen Zusammensetzung. Viel Designeinfluss aus Frankreich und Mut zur Farbigkeit wie in den Niederlanden ist hier zu finden. Dazu eine Prise teutonischer Pragmatismus – et voila, so wohnt es sich schön in Belgien. Es gibt kein einheitliches, typisch-belgisches Interieur. Aber dafür ist die Kreativität, im Zuhause wie in der Kunst, enorm vielfältig.
Van Severen: eine Familie prägt die belgische Designlandschaft
Das Design in Belgien wird seit etwa zwei Jahrzehnten maßgeblich von einer Familie mitgestaltet. Maarten Van Severen studierte Architektur an der Kunsthochschule im flämischen Gent. Er wurde zu einem der bekanntesten Innenarchitekten und Möbeldesigner des Landes. Seit Mitte der 1980er Jahre entwarf und fertigte er die ersten eigenen Möbel. Zunächst noch in kleiner Stückzahl in der eigenen Werkstatt in Gent. Etwa zehn Jahre später begann seine Zusammenarbeit mit Vitra, die bis zu seinem Tod 2005 und darüber hinaus andauern sollte. Sein Stuhl .03 ist ein Paradebeispiel der Designkonzeptes „weniger ist mehr“ und sein vielleicht erfolgreiches Design. Typisch für die Entwürfe von Van Severen sind ihre Schlichtheit und der überraschende Komfort.
Eine ähnlich schlichte Ästhetik pflegt sein Sohn Hannes, der gemeinsam mit seiner Frau Fien Muller das Label Muller Van Severen betreibt. Dieses fertigt in kleiner Auflage einige der spannendsten Möbel, die es derzeit gibt. Beide haben einen Abschluss vom Institut Sint-Lucas Gent in Bildhauerei. Das sieht man den Schöpfungen des belgischen Designduos auch an, denn ihre Objekte haben einen sehr skulpturalen Charakter. Feine Linien aus dünnem Stahlrohr geben die Konturen vor. Gleichzeitig sind die Objekte raumgreifend und von einer einzigartigen Körperlichkeit. Gefärbte Flächen aus Glas bzw. Kunststoff sorgen für den Farbkick.
Es wäre falsch, jetzt ein abschließendes Fazit zum Design in Belgien zu ziehen. Dafür ist die Szene zu vielfältig und der Stil zu heterogen. Leuchten von Modular sind streng und schlicht in der Formgebung, die Produkte von Serax hingegen haptisch verführerisch und oft mit einem Augenzwinkern designt. Vielmehr ist das Design so, wie das Land selbst: widersprüchlich, pragmatisch, mutig und vielleicht auch ein bisschen verrückt Und genau so gefällt es uns.
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