Totgesagte leben länger. Das Bücherregal ist der beste Beweis dafür, denn schon vor über zehn Jahren, als auch die Nachrufe auf die Printbranche quasi täglich eingingen, begann der Abgesang auf unser vielleicht liebstes Möbelstück. Und dann das: Keine der Buchuntergangsprognosen hat sich so wirklich bewahrheitet. Noch immer lesen wir Bücher und Zeitungen und Magazine.

Früher sollten sie möglichst voluminös, unauffällig und funktional sein, heute werden sie etwas übersichtlicher in der Größe, dafür aber gern mal auffällig in Form und Farbe: Bücherregale.
Das gedruckte Wort hält sich im Zeitalter der Digitalisierung wacker und trotzt selbst den ganz gut verkäuflichen E-Readern. Die Erklärung ist dann auch recht naheliegend. Die meisten von uns lesen viel online – Emails, die Tageszeitung, Tabellen, Reportings, etc. Im Ausgleich fühlt es sich dazu sehr gut an, etwas reales in den Händen zu halten. Ein Buch, in das man ein Lesezeichen stecken kann, für das man keinen Akku laden muss, Seiten, in die man Gedanken und Anmerkungen beim Lesen schreiben kann. Je digitaler unsere Medien werden, umso reizvoller wird das Lesen und Erleben mit allen Sinnen.
Das Bücherregal ändert sich
Und trotzdem sieht das Bücherregal von heute nicht mehr so aus wie noch vor etwa 50 Jahren. Zwar fasst es bei den meisten noch reihenweise Lektüre, aber daneben oft noch eine ganze Menge anderer Dinge. Denn auch wenn hippe Themenbuchhandlungen in den Großstädten gerade viel Zulauf bekommen, so hat sich doch die gutbürgerliche Bibliothek gewandelt. Denn die umfasst keine dicken Bände prominenter Enzyklopädien mehr. Und auch Werkausgaben der Klassiker wie Goethe und Schiller sind heute augenscheinlich nicht mehr so gefragt. Das Regal ist heute bunter, diverser – sowohl inhaltlich als auch optisch. Anstelle von Lexika nehmen dort altbekannte und neue Printprodukte ihren Platz ein. Und dazwischen jede menge Nippen.
Es geht um den Inhalt – aber bitte schön arrangiert!
Im Bücherregal stehen und liegen sie dann, die Coffeetable Books, die Romane, Sachbücher und hippe Hochglanzmagazine. Aber längst nicht alleine. Vielmehr teilen sie sich den Platz mit Vasen, Bildern, Skulpturen und Designobjekten. Was einmal das analoge Gedächtnis der Bewohner war, ist heute oft kombiniert mit einer ästhetischen Repräsentanz. Die literarische Sammlung soll schließlich auch gut aussehen. Die einen sehen darin eine Wertverschiebung, weil jetzt plötzlich das Wissen in den Büchern weniger zählt als das Drumherum. Man kann es aber auch so sehen, dass das Gelesene (und auch die Bücher, die man noch vorhat zu lesen) durch die Inszenierung im Regal eine persönliche Aufwertung bekommen. Das Regal als kultureller Altar des ganz persönlichen (Lese-)Geschmacks.

Wir wählen heute sorgfältiger aus, welches Buch im Regal landet und welches eher nicht. Dadurch schwindet die klassisch-bürgerliche Bibliothek. Die Lust am Lesen ist dennoch ungebrochen.
Selektives Lesen löst die Sammelwut ab
Eine persönliche Beobachtung ist, dass sich die Art, Bücher zu sammeln, ändert. Von der sehr umfassenden Bibliothek hin zur kuratierten Sammlung. Nicht jedes Werk, dass man einmal gelesen hat, bekommt heute einen festen Platz im Regal. Immer häufiger sortieren Menschen ihren Bücherbestand und gewähren nur den Texten und Bänden einen Stellplatz, die gefallen haben, die mehrmals gelesen werden bzw. prägend waren. Das passt zu einer anderen Entwicklung, die sich ebenfalls im Wohnbereich häufiger zeigt: Minimalismus und Reduktion. Weniger Dinge besitzen, Qualität anstatt Quantität. Deshalb sind viele Regale heute gar nicht mehr gedacht für eine Stellung wie in einer Bibliothek.
Auch ein anderes Phänomen, dass in den vergangenen Jahren für viel Diskussionsstoff gesorgt hat, sieht man weniger häufig dieser Tage: Die nach Optik sortierten Bücher. Soll heißen, Regenbogen-Farbsortierung oder das ebenfalls zeitweise sehr populäre Stellen der Bücher mit dem Rücken zu Wand. Gefühlt sind diese Trends auf dem Rückzug.
Evolution des Regals
Die literarische Sammelwut ebbt ab, was aber bleibt, sind Regale als Stauraum für Bücher und all die Dinge, über die man sich persönlich gern definiert. Andenken, Designobjekt, Kunst. Das lässt den Designern von neuen Bücherregalen etwas mehr Freiheit bei der Gestaltung, denn es geht nicht mehr ausschließlich darum, ein funktionales, hochstabiles Möbel zu entwerfen. Das legendäre String Shelf ist inzwischen mehr als nur ein Bücherregal. Tatsächlich steht das Buch gar nicht mehr im Fokus. Es sind viele verschiedene Erweiterungen und Elemente für das ikonische Leiterregal von Nisse und Kajsa Strinning verfügbar, die sich an alles andere Richten: Kisten, Haken, Tische etc. Das alte Staumöbel wird zur Flurgarderobe, zum Schreibtisch, zum Gartenregal.
Und auch in Sachen Form verändert sich vieles. Die Link Wandregale von Studio Hausen bieten Büchern einen Platz, mit der klassischen Regalwand haben sie aber nicht mehr viel gemeinsam. Überhaupt werden viele neue Möbel kompakter – nur Sideboardhöhe etwa. Wobei für echte Leseratten nichts über deckenhohe Buchhorte a la FNP von Nils Holger Moormann geht.

Für Literaturliebhaber geht dennoch nichts über großzügige Bücherwände. Das FNP System von Nils Holger Moormann bietet jede Menge erweiterbaren Platz für die Privatbibliothek. ©Julia Rotter
Wer Bücher liebt, weil er:sie gern liest und sie eine gemütliche Atmosphäre schaffen, der wird auch weiterhin viel Lektüre um sich scharen. Daran wird sich auf absehbare Zeit wohl nicht viel ändern. So platt es klingt: Gelesen wird immer. Gerade während einer Pandemie, in der manche:r überproportional viel Gelegenheit dazu hat, wird sich das wohl sogar noch verstärken. Schaden tut es sicher nicht.

Zig Zag von Hem: Selbst auf der kleinsten Bank ist noch Platz für Bücher und Liebgewonnenes. Und Lesen als Hobby war selten passender als jetzt. Wenn man physisch nicht verreisen kann, dann doch zumindest gedanklich mit einem guten Buch. Oder zwei, drei oder vier. Parallellesen kann auch ganz schön sein.
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