Für gewöhnlich ist es so, dass sich handwerkliche Betriebe mit der Zeit modernisieren. Weg von der Handarbeit, hin zur Fertigung an technisch-spezifizierten Maschinen. Bei der spanischen Teppichmarke Nanimarquina war es genau andersherum.
Von der Maschine zur Handarbeit
Als Nani Marquina ihr Label 1987 gründete, wollte sie einfach schöne Designteppiche herstellen. Wie damals üblich setzte sie auf Webereien mit mechanischen Webstühlen. Produziert wurde vor Ort in Spanien, was die Kommunikation und Produktionswege angenehm machte, aber die Gestaltungsmöglichkeiten stark einschränkte. Ein mechanischer Webstuhl setzt Technische Grenzen, sowohl bei den Farben, Garnen als auch Strukturen. Als Anfang der 1990er Jahre eine Anfrage für einen Teppich mit einem Loch in der Mitte bei Nanimarquina einging, zeigte das sehr deutlich die Grenzen des maschinell machbaren auf. Also verlagerten Nani und ihr Unternehmen 1993 die Produktion, nämlich dorthin, wo die Expertise für handgefertigte Teppiche beheimatet ist: Nach Indien und Pakistan.
Nanimarquina pflegt uralte Handwerkstraditionen
Heute pendelt das Designteam von Nanimarquina regelmäßig zwischen Barcelona und Varanasi. In der Nähe der nordindischen Millionenstadt befindet sich das indische Atelier, in dem die handgefertigten Teppiche entstehen. Die Designteppiche nach Entwürfen bekannter Formgeber wie Ron Arad, Doshi & Levien, den Bouroullecs und Jaime Hayon entstehen, überspitzt formuliert, irgendwo im Nirgendwo. Weit weg von boomender Industrie, in einem Landstrich, der bekannt ist für seine religiöse Bedeutung für den Hinduismus, in dem Traditionen eine große gesellschaftliche Rolle spielen. Hier hat sich das Jahrhunderte alte Handwerk des Teppichknüpfens, -Webens und -Tuftens nahezu unverändert bewahrt.
Die Handarbeit erlaubt es, auch ungewöhnliche Farbe, Formen und Strukturen in die Designs einzubinden. Das lässt auch Raum für kleine Innovationen. Für einzelne Ideen und Produkte lassen sich die handbetriebenen Webstühle leicht verändern, um die Vorstellung in Realität zu verwandeln. Eine Neuanschaffung komplexer technischer Geräte aber ist nicht notwendig. In den Teppichmanufakturen in Indien und Pakistan arbeiten erfahrene Handwerker, die ihr Handwerk, die verschiedenen Techniken und Materialien tatsächlich verstehen. Das sieht man den hochwertigen Teppichen von Nanimarquina auch an. Die Handarbeit macht die meisten Designs erst möglich. Zu den beeindruckendsten Produkten zählt ein Wandteppich mit einer Größe von ca. 600 qm, der aus Dutzenden Einzelteilen zusammengesetzt wird. Der hängt im UN-Hauptquartier in Genf.
In 90 Tagen zum handgeknüpften Teppich
Handarbeit aber braucht Zeit. Man fängt nicht morgens mit dem Weben an und ist am Abend fertig. Dann käme vielleicht ein etwa Bierdeckel großes Stück „Teppich“ dabei heraus. Ein getufteter teppich braucht im Durchschnitt etwa 40 Tage. Beim Tuften wird der Faden mit einer Tuftingpistole auf ein Trägergewebe gestochen. Dadurch sind besonders detailreiche Motive und Kurven möglich, weil der Teppich nicht Reihe für Reihe wächst, sondern Partie für Partie entsteht. Ein bisschen wie in einem Ausmalheft. Je aufwändiger das Design und je mehr Farben verwendet werden, umso länger dauert die Produktion. Am längsten dauert das Handknüpfen eines Teppichs. Es dauert im Schnitt gut drei Monate, bis der letzte Knoten geknüpft ist.
Wertschätzung in digitalen Zeiten
Handarbeit erfährt heute wieder vermehrt Wertschätzung. Es hat etwas Beruhigendes zu wissen, das hinter bestimmten Dingen keine Maschinen stecken, sondern Menschen. Dabei wird Handarbeit immer seltener, damit meist auch teurer und zu einer Art Luxus. Bei Nanimarquina kauft man nicht nur ein Produkt, sondern auch die Geschichte und die Handwerkstradition dahinter gleich mit. Die Produktionsstandorte Indien und Pakistan wurden nicht etwa gewählt, um möglichst billig produzieren zu können, sondern weil diese uralten Handwerkstraditionen hier noch gepflegt werden.
Die Kinder der Arbeiter, die für das spanische Designlabel Teppiche herstellen, erhalten eine Ausbildung an der Amita School in Bhadohi. Die Kosten für die Schule werden vom Unternehmen getragen. Und auch der Einsatz von Chemikalien wurde durch ein eigens entwickeltes Waschverfahren ersetzt. Das schon das Abwasser und die umliegenden Felder, auf denen viele Familien ihre Nahrungsmittel anbauen.
Nanimarquinas Neuheiten 2020
Silhouette
Zu den Neuheiten in diesem Jahr gehören die Serie Flora von Santi Moix, Silhouette von Jaime Hayon und Telares. Die Silhouette Kollektion greift die charmanten Figuren aus der Fantasie des bekannten spanischen Designers auf und bringt sie in die Wohnung – und nach draußen. Die Illustrationen erscheinen wie Freihandzeichnungen direkt aus Hayons Skizzenbuch. Dort tummeln sich kontinuierlich neue Charaktere, die mal niedlich und witzig erscheinen und ein andermal erschrecken. Wobei die Gesichter auf den Silhouette Teppichen sich durchaus freundlich zeigen.
Telares
Mit Struktur und natürlicher Farbigkeit begeistern die Teppiche der neuen Telares Serie. Entstanden sind sie, indem die Techniken zur Herstellung von Kelims und traditionellen Dhurries kombiniert wurden. Dadurcg ergeben sich variantenreiche und unterschiedlich dicke Fasern –die in einem einzigartigen Zusammenspiel von Texturen und Rhythmen münden. Die Dynamik im Muster, die sich aus der Spannung zwischen Schuss-und Kettfäden herausbildet, gibt dem Teppich eine nuancenreiche Anmutung und ist sinnbildlich für das, was textile Handarbeit in ihrem Ursprung ausmacht: Das stetige Ausprobieren des Handwerkers, das zu unglaublich faszinierenden und facettenreichen Ergebnissen führen kann.
Verarbeitet wird hochwertige afghanische Wolle, die mit den kurvenreichen Designs der Webteppiche ein neues, unkonventionelles Gesamtwerk ergibt. Aus alten Techniken und traditionellen Materialien entsteht in Kombination mit zeitgemäßen Designs etwas sehr modernes. Das ist es auch, was Nanimarquina als Marke und die resultierenden Designprodukte so besonders macht.
Flora
Besonders faszinierend ist die Flora Serie des in Barcelona ansässigen Künstlers Santi Moix. Flora greift das Thema Blüten auf. Aber nicht einfach im Zustand der schönsten Blüte, sondern in den Momenten dazwischen: Kurz bevor sie sich öffnet, den Moment der Farbexplosion und auch das Verwelken. Im Ergebnis sind das konzeptuell als auch handwerklich wirklich schöne Teppiche, die von Hand getuftet werden und farblich zwar bunt, aber zugleich überraschend harmonisch daherkommen.
Nani Marquina über die neue Kollektion: “Wir erachten es als unsere Aufgabe, Kunst und Kultur zu unterstützen, so wie wir es in der Vergangenheit beispielsweise mit den beiden Kollektionen Chillidades spanisch-baskischen Bildhauers und Zeichners Eduardo Chillida und Mélangeder Modedesignerin Sybilla Sorondo Mielzynski getan haben. Für die Kollektion Florahaben wir Kunstwerke ausgewählt, in denen Santi Moix die Parallelität zwischen Leben und Tod durch biomorphe Blumen untersucht. Seine Verwendung von Farbe geht hier über das bloße Dekorative hinaus. Sie ist das Mittel, mit dem Moix Details verstärkt oder abschwächt und dabei ein besonderes Augenmerk auf Feinheiten, wie die Verwandlung einer Blume legt –von dem Moment vor ihrer Entfaltung, über ihre volle Blüte bis zu ihrem Verfall.”
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