Seit Monaten befindet sich die Welt in einer Art Ausnahmezustand. Corona bzw. Covid-19 hat unseren Alltag sicht- und spürbar verändert. Als eine der ersten Maßnahmen zur Eindämmung des Virus waren Berufstätige angehalten im Homeoffice zu arbeiten, soweit das möglich ist. Von einem Tag auf den anderen verbrachten viele Menschen ihren kompletten Tag zuhause. Wir haben mit der Hamburger Expertin für Wohnpsychologie Erika Mierow über das Wohnen und Arbeiten in der Pandemie gesprochen. Warum das Arbeiten von Zuhause nicht jedem liegt und was Zimmerpflanzen mit dem Wohlbefinden zu tun haben, verrät sie uns im Interview.
Im Interview mit der wohn- und architekturpsychologischen Expertin Erika Mierow
DBS: Und plötzlich ist alles anders. Homeoffice statt Büro, Schreibtisch statt Schule. Wie stellt sich der Mensch am besten auf so eine Veränderung ein? Und was macht das eigentlich mit uns?
Erika Mierow: “Covid-19 und der Lockdown waren für uns alle etwas Unvorstellbares. Wir dachten zunächst, „Naja, das ist in China. Das ist weit weg.“ Als wir die Bilder von Italien und aus den Krankenhäusern dort sahen, nahmen wir wahr, dass es auch uns treffen kann. Das Besondere daran war, dass zur Überwindung dieser Krise unser persönliches Leben massiv eingeschränkt wurde.
Das kannten wir bisher nicht. Wir waren zutiefst verunsichert, aber gleichzeitig entstand auch eine große Gemeinschaft. Es gab Einkaufs- und Nachbarschaftshilfen, Beifall für die Menschen, die das öffentliche Leben aufrechterhielten, gemeinsames Singen, usw. Das machte ein besseres Gefühl, denn auch die Gemeinsamkeit kann ja einen Halt bieten. Aber jede Veränderung, die wir nicht selbst herbeigeführt haben, bringt unser Leben durcheinander und macht unsicher. Und eine Lösung war und ist bislang nicht in Sicht. Wir wurden mit einem Mal fremdbestimmt. Kurz: Wir mussten uns arrangieren und darauf einstellen. Das gelingt je nach eigener Situation und Persönlichkeitslage mal besser und mal weniger.
Was das mit uns macht? Wir merken in einer Krise, wie anfällig wir sind und suchen nach einem sicheren Halt. Nur was ist das? Eine klare und einfache Antwort steht bis heute nicht fest, aber es gibt eben auch die große Chance für Neues, für Veränderungen, die uns guttun. Daran können wir zumindest mitwirken. Und das geschieht bereits: Wir verzichten weitgehend auf‘s Reisen, weil es eben auch online geht. Und wir sitzen zuhause und arbeiten von dort. Wer hätte das vor einem Jahr noch gedacht.”
Arbeiten von Zuhause, wenn selbiges eigentlich gar nicht dafür gedacht und ausgestattet ist – was sind einfache Maßnahmen, mit denen die Wohnung bürotauglich wird?
“Man möchte meinen, es kann ja nicht so schlimm sein, mehr Zeit zuhause zu verbringen. Doch dies ist ein Fehlschluss. Es ist eine massive Herausforderung, längere Zeit an die Wohnung gebunden zu sein. Hier wurden auch die Schwächen vieler Wohnungskonzepte, Wohngebäude und Wohnsiedlungen deutlich. Unsere Wohnräume sind nicht darauf ausgelegt, ein Ort für Alles zu sein: Für Arbeiten, Leben, Spielen, Schlafen.
Aber wir können Räume durch Zonen und Bereiche neu definieren und auch zueinander abgrenzen. Schon eine andere farbliche Gestaltung, eine teilweise tapezierte Ecke oder durch einen Teppich erreicht man hier eine andere Raumwirkung. Auch Raumteiler, Vorhänge oder aufgestellte Pflanzen können für neue Bereiche sorgen. Und natürlich können wir unsere Möbel auch einfach mal anders aufstellen. Sollten mehr Bereiche benötigt werden, als eingerichtet werden können, kann man auch zeitliche Bereiche einrichten.
Für das Homeoffice sollte man einen ruhigeren Platz finden und einrichten. Möglichst nicht im Schlafzimmer. Falls es aber nicht anders geht, bitte gut vom Schlafbereich trennen. Und nachts dann alles, was nach Büro aussieht, wegpacken. Auf gutes Licht achten. Tageslicht ist optimal, deshalb wäre ein Platz am Fenster gut. Überhaupt erholen wir uns unbewusst eher, wenn wir immer mal wieder einen Blick in die Natur werfen können. Sollte das nicht möglich sein, können Pflanzen verwendet oder Naturbilder aufgehängt werden. Für Video-Konferenzen oder auch nur so kann man den Laptop auch mal auf ein aufgeklapptes Bügelbrett stellen, um dann stehend daran teilzunehmen. Und viele (Büro-)Möbelhersteller haben schon reagiert und bieten kleinere und mobilere Schreibtische an.”
Die solitäre Arbeit ohne Kollegenkontakt fällt einigen Menschen nicht leicht. Gibt es Tipps, mit denen selbst für „sozial agile“ Menschen das Homeoffice angenehmer gestaltet werden kann?
“Der erwünschte Kollegenkontakt wird durch Onlinekonferenzen natürlich nicht ersetzt. Und soziale reale Interaktion ist wichtig. Und auch das Zugehörigkeitsgefühl ist wichtig. Kollegen könnten sich aber auch untereinander digital verabreden. Man könnte zum Beispiel Montagmorgens ein kleines „Kick-Off-Meeting“ mit seinen Lieblingskollegen informell abhalten, oder einmal zusammen die Mittagspause verklönen.
Wenn es keine Ausgangsbeschränkungen gibt, empfehle ich auch die Nutzung von Co-Working-Spaces. Das ist ein Kompromiss, und ganz sicher auch etwas für die Zukunft von Arbeit. Ich kenne junge Unternehmen, die sich immer wieder woanders, je nach Auftragslage, treffen und dort zusammenarbeiten.”
Nicht nur die Erwachsenen wurden während der Pandemie nach Hause geschickt. Wie kann man als Familie (mit schulpflichtigen Kindern) die Herausforderungen bewältigen, ohne sich gegenseitig wahnsinnig zu stressen?
“Die Bedürfnisse ändern sich, wenn alle zuhause bleiben müssen. Einige dieser „neu entstandenen Bedürfnisse“ könnten sein: Ein Rückzugsbereich für jede Person, eine Möglichkeit für kleine Kinder, Verstecke oder Höhlen zu bauen, Spielzonen für größere Kinder einzurichten, einen eigenen Platz für Homeschooling, Möglichkeiten Sport auszuüben. Einen Tages- oder Wochenplan mit allen zusammen erarbeiten und befolgen. Ein Ampelsystem kann helfen, den Tag zu strukturieren. Grün heißt „jetzt geht’s“, rot „jetzt nicht“.”
Ist es perspektivisch möglich, dass nach der Pandemie mehr Menschen als bisher zumindest gelegentlich aus dem Homeoffice arbeiten? Wie wird sich dadurch unsere Art zu wohnen verändern?
“Ja, das ist wird sich weiter durchsetzen. Auch, wenn wir die soziale Interaktion brauchen. Die Aufhebung der Trennung zwischen Arbeit und Freizeit finde ich bedenklich. Aber einige Tage von zuhause aus zu arbeiten und dann ein oder zwei Tage Präsenzzeiten im gemeinsamen Büro, scheint sich jetzt schon zu etablieren. Ich denke aber auch, dass sich Arbeit an sich neu denken lassen muss. Also, hin zur Vertrauenskultur, weg von den Hierarchien. Fehler machen dürfen, Stärken einsetzen, die Persönlichkeit nicht (mehr) an der Garderobe lassen, sich einbringen. Und wir sollten auch im Homeoffice den Tag strukturieren und uns disziplinieren.
Also, Pausen machen, Feierabend einhalten. Es wird auch empfohlen, den Weg von und zur Arbeit zu imitieren. Und Co-Working-Spaces werden vermehrt frequentiert werden. Für Gruppenarbeiten, für regionale Treffen, usw. Das alles wird wirklich spannend.”
Neben all den Herausforderungen, vor denen wir und unser Zuhause derzeit stehen: Gibt es auch positive Aspekte, die sich der vielen Zeit in den eigenen vier Wänden abgewinnen lassen?
“Ja, es gibt zum einen die Zeitersparnis. Man muss sich nicht durch den Verkehr quälen. Und man kann zwischendurch etwas erledigen. Das Gefühl durch den Wohnraum verändert sich positiv, wenn man es sich so einrichten kann, wie man möchte. Die Möbel mal anders aufstellen, kann bereits eine positive Wirkung haben. Oder eine kleine Pflanzeninsel, eine neue Lichtquelle, ein schönes Bild, mit einem Motiv, an das man sich gern erinnert, ein Vorhang als Raumteiler.
Unser Gehirn braucht immer mal wieder neue Anreize, um sich wohlzufühlen. Die meisten Menschen, die ich kenne, haben auch große Lust, immer mal etwas zu verändern. Dafür braucht es kein großes Budget. Und viele Menschen haben während der Corona-Pandemie die Zeit genutzt und ausgemistet. Wenn uns weniger umgibt, kommen wir auch in einen ruhigeren Zustand, was nachweislich Stress reduziert.”
Lassen sich Wohntrends beobachten, die auf die Pandemie zurückzuführen sind? Wird sich die Pandemie auch längerfristig darauf auswirken, wie wir wohnen & arbeiten?
“Schon vor der Pandemie hatte ich den Eindruck, dass multifunktionale Möbel sich stark durchsetzen. Etwas, das sich weg- oder einklappen oder anders nutzen lässt, ist ruckzuck wiederaufgebaut und kann zum Einsatz kommen, wo man es braucht. Auch halte ich kleinere Möbel für sinnvoll und überdies mag ich die skandinavischen designigen Möbel sehr gern, weil Räume dann transparenter wirken und es nicht so überladen aussieht. Ein schlichter Stil, Naturmaterialien, beruhigende Formen, warme Farben und haptische Textilien lassen uns das Zuhausesein unbewusst positiver erleben.
Und schon jetzt lässt sich sagen, dass viele Menschen Wert auf Nachhaltigkeit und gute Qualitäten legen, und deshalb auch mehr dafür ausgeben. Bei der Planung von neuen Häusern könnte ich mir jetzt gut vorstellen, dass es wieder zu ausgewiesenen Bürobereichen kommt. Also, man mehr „Leben und Arbeiten“ berücksichtigt. Auch Hygienekonzepte wird es geben, touchless Wasserhähne oder Türen. Das Thema Smart Living wird sich fortentwickeln, wobei ich hier dringend auf die Wahrung der Privatsphäre hinweisen möchte. Zimmerpflanzen und Natur indoor erfährt ebenfalls gerade einen großen Hype. Natur führt wohnpsychologisch auf jeden Fall zur Erholung und zum Wohlbefinden.”
Sich Zuhause-Fühlen gehört zur Erholung – Erika Mierow
Als wohn- und architekturpsychologische Expertin möchte ich abschließend nochmal darauf hinweisen, dass zum „Sich-Zuhause-Fühlen“ die Erholung gehört. Das sollte jede Wohnung ermöglichen. Rückzugsorte, Privatsphäre, Schutz und Sicherheit sind nur einige der Bedürfnisse, die Menschen überall auf der Welt haben, und die es zu berücksichtigen gilt. Jeder sollte „gut bei sich zuhause sein!“
Mehr Informationen zu Erika Mierow, ihrer Arbeit und ihren Services gibt es auf ihrer Website coachfortrends.com.
2 Comments
Also mal ganz ernsthaft: vor allem wenn ich mir das letzte Bild so anschaue – so kann man doch nicht ernsthaft von zu Hause arbeiten.
Wackelig, “Tischplatte” viel zu hoch, platz viel zu klein…. nicht böse nehmen, aber wer das Bild als Homeoffice der Zukuft verkaufen will, der hat noch nie länger zu Hause gearbeitet.
Hallo Alex,
natürlich is der Platz bei einem Sekretär sehr begrenzt, es ist ja auch nur ein Beispiel dafür, dass Arbeitsplätze im Zuhause integrierbar sein sollen und welche Möglichkeiten wir unter anderem anbieten. Mit einer “Tischhöhe” von etwa 75 Zentimetern unterscheidet die sich im Übrigen absolut nicht von standardisierten Schreibtischen. Vielleicht scheint es nur auf dem Foto im Vergleich zum Stuhl so.
Gruß
Anne