Es ist Sommer und die Natur zeigt sich in ihren schillerndsten Facetten. Das Glitzern des Badesees, das leuchtende Rot der Mohnblumen am Feldrand, die appetitlichen Farben der Eistheke – davon können wir gerade einfach nicht genug bekommen. Wir feiern die Farben vor der Tür genauso wie die Farben im Haus. Denn manchmal braucht auch das Interieur mehr Farbe.
Farbe ist nicht nur wohltuend für die Wohnung, sondern auch für die gestresste Zivilisationsseele. Mit einigen Akzenten oder gleich einem ganzen Farbeimer kann man selbst bisher monochrom gehaltenen Räumen mehr Leben einhauchen. Diese stylische Künstlerwohnung in Aachen liefert viel Inspiration, wie sich mit ein bisschen Mut mehr Farbe ins Zuhause bringen lässt.
Wohnen mit mehr Farbe – das kleine 1 Mal 1
Farben erzeugen und verstärken Stimmungen. Deshalb empfehlen Inneneinrichter, Räume nicht monochromatisch zu gestalten. Stattdessen plädieren sie für eine Mischung aus beruhigenden und anregenden Farben. Im Verhältnis von 2:1. Neutrale Farben ohne auffälligen Charakter wie Cremeweiß oder Leinen sollten dabei überwiegen. Farben kämen dann durch Textilien und Accessoires ins Spiel. So könnten multifunktionale Räume wie das Wohnzimmer in jeder Lebenslage eine angenehme Stimmung erzeugen. So die gängige Meinung.
Man kann das Ganze aber auch ganz anders angehen. Mit mehr Bauchgefühl und mehr Farbe. So wie bei der Künstlerwohnung, die uns hier als sprudelnde Inspirationsquelle dient. Denn hier wird an vielen Ecken auf gestalterische Konventionen gepfiffen und intuitiv auf ganz eigene, mitunter sehr laute Farbeinsätze gewettet. Die Rechnung geht auf, wie die Wohnung selbst beweist.
Farbe im Esszimmer
Die Künstlerwohnung befindet sich in einem Altbau. Alleine die Räumlichkeiten bringen schon einen ganz eigenen Esprit mit. Durch den Einsatz von farbenfrohen modernen Möbeln wird der Charakter der Räume kontrastiert. Die schlicht-weißen Wände und der geölte Parkettboden bilden eine stimmige Kulisse für die knallgelbe Storage-Lösung auf der einen Raumseite und den markanten Esstisch in der Mitte des Raumes. Der geköhlte und anschließend geseifte Tisch erdet das gesamte Interieur. Wie ein fester Anker steht er im Esszimmer. Darauf und drum herum spielt sich das Farbleben ab. Von einem Verhältnis von 2:1 würden wir hier aber nicht sprechen wollen. Halb und halb trifft es schon eher.
Am allereinfachsten kommt mehr Farbe mit Blumen ins Haus. Hier sind es einzelne Schnittblumen, der gleiche Effekt lässt sich aber auch mit einem Strauß wilder Sommerblumen erzielen. Farbakzente lassen sich am Esstisch auch mit Stühlen setzen. Die Eames Fiberglass Chairs und Prouvé’s Standard sind hier die Stühle der Wahl. Gelb und kühles Sea Foam Green passen gut zueinander und in den Raum.
Monochromie im Wohnbereich
Im Erker im Wohnbereich wiederum sucht man leuchtende Farben eher vergeblich. Hier befindet man sich vielmehr in einem Schwarzweißfilm – wobei Naturmaterialien hier dann noch am ehesten herausstechen. Die Fensterbank aus Naturstein trägt im Hintergrund die eklektische Auswahl an Accessoires aus Fundstücken aus dem Stadtwald und Designobjekten auf ihrem Rücken, während im Vordergrund ein Vintage Togo Sessel von Ligne Roset in schwarzem Leder die Ruhe selbst ausstrahlt. Die Kombination von Schwarz und Weiß, die so dramatisch sein kann, wirkt hier beruhigend. Die bunte Geburtstagsdekoration wirkt dabei wie Goldstaub auf einem saftigen Brownie: Toll für den Moment, aber es schmeckt auch ohne.
Mit der Farbkanone in der Bibliothek
Kommt man in die Bibliothek, betritt man einen Raum mit Wow-Effekt. Die Wände, Einbauten, Fensterrahmen und die Decke sind in edles Dunkelgrün getaucht, das bei einfallendem Sonnenlicht bläulich schimmert. Wie Petrol leuchtet die Farbe dann.
Die hohen Sprossenfenster sind auch nicht ganz unschuldig an der Ausstrahlungskraft des Raumes. Gleißendes Licht lässt die Farben der Bibliothek geradezu tanzen.
Dieser Raum zeigt auch, wie falsch die Annahme eigentlich ist, dass dunkle Farben einen Raum verkleinern. Der Raum scheint nicht weniger großzügig, nur weil er von oben bis unten in einer Farbe gestrichen wurde. Ganz im Gegenteil. Gerade weil so konsequent mit einer sehr ausdrucksstarken Farbe gearbeitet wurde, strahlt das Lesezimmer Grandezza und Behaglichkeit zugleich aus.
So eine starke Farbe wiederum braucht nicht minder extrovertierte Gegenspieler. Das Bücherregal greift die Komplementärfarbe Rot auf und bietet dem Auge so einen Fixpunkt. Drum herum gibt es noch mehr Farbe und einfach wahnsinnig viel anzuschauen. Vom gelben Eames Lounge Chair bis hin zum antiken Bärenkopf am Boden. Die Hausbar hält sich dagegen vornehm zurück.
Diagnose: Atelier mit Gelbsucht
Noch mehr Farbe als in der Bibliothek gibt es im Atelier, zumindest was das Farbspektrum angeht. Zwar sind hier die Wände wieder in schlichtem Weiß gehalten, zugleich finden sich auch hier Beweise für die Gelbverliebtheit der Bewohner. Während die Kunstwerke, brav in Luftpolsterfolie gehüllt, an der Wand aufgereiht stehen, spielt sich der Repos Sessel von Vitra, mit gelbem Wollstoff bezogen, hier ganz eindeutig in den Vordergrund. Es gelingt dem farbigen Sessel doch tatsächlich, sich vom bunten Drumherum abzuheben. Konkurrenz bekommt er durch die bunte Boombox und die Wooden Dolls, aber das tut der Farbenfreude und leichten Gelbsucht des Raumes keinen Abbruch.
Dieses inspirierende Interieur zeigt auf charmant-entspannte Weise, wie wohnlich starke Farben sein können. Sie beleben das Zuhause. Angst vor mehr Farbe muss niemand haben. Und auch wenn Gelb nicht jedermenschs Farbe der Wahl ist, es steht uns ja die ganze Farbpalette zur Verfügung. Bleibt nur die Frage: Warum eigentlich noch monochromatisch wohnen? Her mit dem Regenbogen!
Alle Photos: © Patrick Pollmeier
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