Jaime Hayon ist ein Tausendsassa, der scheinbar nicht nur Ruhe kommt. Zuhause in Valencia, mit Studio ebenda und Zweigstellen in Treviso und Barcelona, bewegt sich der gebürtige Madrilene für gewöhnlich stetig durch die Welt, immer mit einem Bein im Flieger. Klar, seine Kunden und Partner sitzen quer über den Globus verteilt. Das nomadische Dasein schätzt er, es liefert Input für seine Kreativität und neue Ideen. Während der Pandemie aber scheint das etwas anders zu sein, in Spanien gelten strickte Lockdown Regeln und auch Hayon arbeitet remote anstatt zu Kunden und Hersteller vor Ort zu treffen. Das scheint für fast alle Beteiligten soweit zu funktionieren, nur in der Produktion läuft es gerade etwas langsamer, aus ganz offensichtlichen Gründen.
Bevor Jaime Hayon zu einem der gefragtesten Gestalter im Bereich Design und Interior wurde, war er Skater, Student, Keramikkünstler und Leiter des Fachbereichs Design des von Benetton gegründeten Kommunikations-und Forschungszentrums Fabrica im italienischen Treviso. 1974 in Madrid geboren, bestanden seine ersten Designversuche nach eigenen Angaben schon als Kind darin, Sofa und Tische seiner Eltern mit Zeichnungen zu versehen. Deren Begeisterung dürfte sich in Grenzen gehalten haben, gleichzeitig aber zeichnete sich schon damals ab, dass Jaime Hayons Zeichnungen unweigerlich im Interieur landen würden. Bevor er 2001 sein eigenes Studio Hayon Studio gründete, wagte er erste Schritte als Keramikkünstler in der Werkstatt eines Freundes. Dieses plastische Arbeiten und die Möglichkeit der Dreidimensionalität hatte prägenden Einfluss auf den Künstler und Designer.
Die 1000 Gesichter des Jaime Hayon
Eine schier unerschöpfliche Kreativität und der Mut, sich auszuprobieren und die Grenzen zwischen Kunst und Design zu überschreiten sind maßgeblich für seinen Erfolg. Seine Handschrift zeichnet sich durch einen hohen Wiedererkennungswert aus. Das liegt vor allem an seinen Illustrationen, die auf schätzungsweise 80 Prozent seiner Kreationen zu finden sind. Fabelhafte Wesen und immer wieder vorwitzige Gesichter und verrückte Fratzen sind das Erkennungsmerkmal, aber auch geschwungene, durchgehende Linien und visuell stimulierende Farben. Clownhafte Gesichter, grinsende Münder, aufgerissene Augen – der Designer und Künstler Hayon hat mit seinen zahlreichen Gesichtern sichtlich Freunde. Gesichtsblindheit ausgeschlossen. Dazwischen tauchen immer mal wieder Wurstzipfel und leuchtende Farben auf.
Es ist eine Gratwanderung zwischen infantilen Krakeleien und fantastischen Illustrationen. Und Jaime Hayon verwischt dabei immer wieder die Grenzen zwischen Kunst und Design. Weil seine Designs eine organische, intuitive Qualität haben und die Präzision, die bei vielen seiner Designerkolleg:innen so offensichtlich ist, sich bei ihm erst auf den zweiten Blick erschließt. Was nicht heißen soll, dass sie nicht vorhanden ist.
Experimentierfreude trifft auf Handwerkstradition
Das Zusammenfügen von Prinzipien oder Stilen, die scheinbar wenig miteinander zu tun haben, scheint eine seiner Spezialitäten zu sein. In seinen Designs als auch Kooperationen fügt er zum Beispiel skandinavische Formensprache und japanische Handwerkstraditionen zu einer stimmigen Leuchte aus Papier zusammen.
Für seine Endprodukte nutzt er ausschließlich hochwertige und langlebige Materialien, um etwas Ikonenhaftes, Unvergängliches zu erschaffen. Als Designer arbeitet Jaime Hayon deshalb auffallend oft mit traditionsreichen Herstellern und Marken zusammen. Von deren Know-How ist Jaime Hayon, der kreative, umtriebige Künstler, immer wieder begeistert. Das Wissen und die Fertigungskunst, die innige Beziehung zu Material und Produkt lassen den Spanier mit den unterschiedlichsten Herstellern zusammenarbeiten.
In seinem Portfolio finden sich Schuhe, Spielzeug und allerlei Alltagsgegenstände. Natürlich außerdem Möbel und Einrichtungsgegenstände. Er hat Hotels und Stores eingerichtet, Ausstellungen kuratiert und wurde vom „Time“ Magazin zu einem der 100 einflussreichsten Designer gekürt. Bei seinen Auftragsarbeiten bewegt er sich dabei zwischen den Polen eines freien Kunstprojekts und Objekten, die sich in die Tradition eines Auftraggebers eingliedern sollen, ohne aus dieser herauszustechen. Viele seiner Möbel sind von einer sanften Üppigkeit, mit leichten Rundungen versehen, die die Fantasie beflügeln und ein positives Gefühl sorgen.
Die Fantastischen Formen und Fabelwesen des Jaime Hayon finden sich heute zum Beispiel in Möbel der dänischen Traditionsmarke Fritz Hansen wieder. Die Grundzutaten für seine Entwürfe sind Farben, Formen, Schatten, Reflexionen, Kontraste. Seine Entwürfe bringen frischen Wind rein. Sie bereiten Freude beim Anschauen, und laden zum Berühren, Sitzen, Lächeln ein. Das tut vielen Interieurs gut. Für Fritz Hansen hat der Spanier Vasen entworfen, nicht aus Porzellan oder Keramik, wie er es zu Beginn seiner formgeberischen Karriere bereits so oft tat, sondern aus Glas und Metall. Ikebana und Ikeru heißen sie und orientieren sich an der japanischen Kunst des Blumenarrangements. Statt zu Sträußen gebunden werden die Blumen einzeln und auf unterschiedlichen Höhen gesteckt – ein Prinzip, dass auch diese Vasen aufgreifen.
Typischer für seine Designsprache als die Vasen sind die von Hayon entworfenen Polstermöbel für Fritz Hansen. Es sind funktionale Möbel, die dennoch ganz eindeutig die spielerische Handschrift des Designers tragen. Bei seinen Entwürfen macht er sich immer auch Gedanken darüber, wie Licht sich auf sie auswirkt. Wie wirken sie leichter? Welche Motive zeichnet der Schattenwurf? Wie muss der Bezug sein, damit das Möbel möglichst viel Licht absorbiert? Das Ergebnis hat eine ganz eigene Leichtigkeit.
Der Fred Loungesessel hat einen Comic-haften Charakter, ganz ohne Illustrationen. Er wirkt figürlich und trotzdem wie ein bequemes Möbel; was er auch ist. Der RO Loungesessel wiederum scheint massiver, durch die Steppknöpfe und Backen hat er eine Art Gesicht, und ist dennoch unverkennbar ein funktionaler Gebrauchsgegenstand. Ihre Bezugstoffe sind in einer breiten Farbpalette verfügbar – ganz so, wie man es von einem Farbkünstler wie Jaime Hayon eben erwartet.
Fantastische aus Funga und Fauna
Fritz Hansen ist nicht der einzige skandinavische Hersteller, der erfolgreich mit dem Madrilenen zusammenarbeitet. Auch &Tradition und Hayon arbeiten seit Jahren erfolgreich zusammen. Neben dem Thema Licht spielen für ihn auch Geschichten eine Rolle. Die erzählt er nicht nur mit seinen Illustrationen, sondern auch mit seinen Möbelentwürfen. Gemeinsam mit &Tradition hat er den Elefy Stuhl entwickelt. Seine Entwürfe sollen mit den Menschen interagieren, Emotionen wecken, zur Benutzung verleiten. Für den Elefy Stuhl hatte Jaime Hayon von Anfang an ein Elefanten-ähnliches Wesen im Sinn, mit präsentem Köper, vergleichsweise schmalen Beinen und natürlich großen Ohren. Ein kleiner, stämmiger Sessel, der gleichzeitig durch die dünnen Beine aus Holz oder Stahlrohr eine gewisse Leichtigkeit besitzt.
Die Akkuleuchte Setago hat er ebenfalls für &Tradition designt. Hier gibt der Name auch schon gleich Aufschluss über das Produkt: Seta ist das spanische Wort für Pilz und Go aus dem Englischen für Laufen. Also eine bewegliche, pilzförmige Leuchte. Setago lässt sich mitnehmen, von Tisch zu Tisch, von drinnen nach draußen. Die kontrastierenden und doch leicht abgetönten Farbvarianten sind nicht untypisch für Jaime Hayons Entwürfe und fügen sich zugleich nahtlos in das Programm des dänischen Herstellers ein.
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