Sommerzeit ist Lesezeit. Klar also, dass wir auch diesmal eine kleine, aber feine Auswahl am Sommerlektüre 2020 zusammengestellt haben. Wie schon in den vergangenen Ausgaben findet sich in der bunten Lesewundertüte ein bunter Potpourri an Literatur. Thematisch schlagen wir einen Bogen von Architektur-Monografien über eine Bibliografie bis hin zu einem kleinen Kochbuch. Weil der Sommer in diesem Jahr ein bisschen anders ist, als alles andere zuvor, ist auch unsere Sommerlektüre 2020 ein bisschen bunter gemischt als üblich. Und die Bücher sind ein bisschen schwerer bzw. größer als sonst.
Schlimm ist das hoffentlich nicht, weit verreisen werden nur wenige von uns. Wir lesen eher Zuhause statt im Flugzeug. Darum darfs diesmal auch ein bisschen mehr sein auf unserer persönlich ausgewählten, sehr subjektiven Leseliste für die Sommer- und Ferienzeit. Taucht ein in unsere Welt irgendwo zwischen Kunst, Korbstühlen und Kochen.
Unsere Buchauswahl der Sommerlektüre 2020
Ricardo Bofill Visions of Architecture
Eine Monographie über den Meister der modernen Bollwerke und seine Bauwerke könnte man dieses Buch nennen. Ricardo Bofill ist einer der bekanntesten und vielleicht auch kontroversesten Architekten unserer Zeit. Zum 80. Geburtstag des spanischen Meisters erschien der über zwei Kilogramm schwere Bildband, in dem auch Unmengen an Informationen über Bofill, seine Arbeiten und Architektur stecken. Bekannt ist er für seine großen Modulbauten. Zwei davon, L‘Espace d’Abraxas und Les Colonnes, sind aufmerksamen Kinogängern wahrscheinlich als Schauplatz in einem der Hunger Games Filme in Erinnerung geblieben. Massive, epische Gebäudekomplexe, die wie aus einer anderen Welt erscheinen.
Bofills Architektur ist keine gefällige Architektur, an ihr scheiden sich die Geister. Entweder man schätzt sie oder man verabscheut sie. Ein dazwischen findet sich nur selten. Seine Bauwerke erinnern oft an Stapel – Bücher oder Schachteln, je nachdem, dabei entwickelt sich Bofill mit den Jahrzehnten immer weiter. La Muralla Roja (1973) mit seinen starren 90°-Winkeln, Stufen und Bonbonfarben unterscheidet sich stark von Camp Nou (2015), dem Fußballstadion des FC Barcelona und seinem letzten Bauwerk. Diese Weiterentwicklung wird in Ricardo Bofill – Visions of Architecture und der fotografischen Übersicht auf sein Oeuvre mehr als deutlich.
Leseempfehlung für: Menschen, die Gefallen an unkonventioneller Architektur und Bonbonfarben finden. Aber Achtung, das Buch hat nicht das passende Format für die Standtasche.
Ricardo Bofill: Visions of Architecture, Gestalten Verlag, Berlin 2019. (engl.)
Formafantasma Cambio
Von Formafantasma haben wir erst im vergangenen Jahr zum ersten Mal gehört. Damals stellte Flos eine beeindruckende Leuchte vor, die das in Amsterdam ansässige Designstudio für den Leuchtenhersteller konzipiert und entworfen hatte. Das Duo, welches als eines der innovativsten Designstudios von heute gilt, widmet sich in der Ausstellung Cambio in den Londoner Serpentine Galleries voll und ganz dem Thema Holz. Aus unterschiedlichsten Perspektiven Blicken sie und ihre Kollaborateure auf den Werkstoff – in Essays und Interviews, auf zellulärer Basis und im historischen Kontext. Es kommen Wissenschaftler zu Wort, ebenso wie indigene Aktivisten aus dem Amazonasgebiet.
Cambio in Buchform ist der Ersatz für die verschobene Ausstellung, die nun noch einmal ab September 2020 in London gezeigt wird. Der Vorteil der papiernen Publikation: Man kann sich in Ruhe in die Materie einlesen, die Zeit dafür bleibt beim Ausstellungsbesuch eher selten. Das ist beim Blick auf die Debatten um Klimaschutz und Nachhaltigkeit sicher keine schlechte Idee.
Leseempfehlung für: Holzwürmer und Menschen, die sich bei der Sommerlektüre 2020 dem Material Holz mal auf ganz andere Weise nähern möchten.
FORMAFANTASMA: CAMBIO. Serpentine Galleries & Koenig Books, London 2020. (engl.)
Børge Mogensen – Möbel mit Format
Fragt man Menschen aus Dänemark, mit welchen Designern und Designs sie aufgewachsen sind, dann folgt unweigerlich die Antwort: Arne Jacobsen, Børge Mogensen und Jens Risom. Das gilt für heute 60-jährige genauso wie für Millenials. Während Arne Jacobsen auch in Deutschland riesige Bekanntheit hat und Jens Risom im Mid-century Design deutliche Spuren hinterlassen hat, ist Børge Mogensen in Deutschland oftmals nur eingefleischten Design- und Dänemarkliebhabern ein Begriff. Dabei hat er den Einrichtungsstil unserer nördlichen Nachbarn immens geprägt.
Wie wichtig der Architekt und Designer für das moderne Produktdesign tatsächlich war, zeigt der Band Børge Mogensen – Möbel mit Format. Die selbstbewussten und zugleich bescheidenen Entwürfe des Kopenhagener Architekten, die hier gezeigt werden, gehören quasi zur Standardausstattung eines skandinavischen Zuhauses: Windsor-Stühle, Holzsessel und Polster mit Karomuster. Als Leiter des Möbeldesignbüros der FDB (Fællesforeningen for Danmarks Brugsforeningen) hat er quasi maßgeblich entschieden, welche Möbel es über die Coop (Skandinavische Handelsgenossenschaft) zu kaufen gab. Und das waren eben auch seine Entwürfe. Deren Entwurfskizzen finden sich zu einem Teil auch im Buch. Ähnlich wie die Bofill Monografie liefert dieses Buch im Coffeetable Book-Format einen anschaulichen Überblick über das Schaffen und einen Einblick in die Welt eines der wichtigsten Vertreter dänischen Möbeldesigns.
Leseempfehlung für: Liebhaber demokratisch-dänischen Designs. Viele Der FDB-Designs sind „Supermarktmöbel“ – für die Mehrheit erreichbar und erschwinglich
Børge Mogensen – Möbel mit Format, Hatje Cantz Verlag, Berlin 2016. (dt.)
Hilma af Klint – Artist, Researcher, Medium
Nicht nur in London wurden freudig erwartete Ausstellungen auf Eis gelegt. Auch in Schweden blieben die Museen seit dem Frühjahr aufgrund der Covid-19 Pandemie geschlossen. Eine große Hilma af Klint Schau, die größte, je einer Künstlerin gewidmete, Einzelausstellung im Moderna Museet in Malmö überhaupt, konnte nicht wie geplant eröffnet werden, sondern wurde um fast 2 Monate nach hinten verschoben. Dafür aber wurde der Katalog zur Ausstellung planmäßig publiziert.
Wie die Ausstellung und die neue Biografie beleuchtet Hilma af Klint: Artist, Researcher, Medium das außergewöhnliche Leben und Schaffen der schwedischen Ausnahmekünstlerin. Auf hochwertigen Farbseiten erschließen sich den Betrachtenden die ätherischen Bilder der ätherischen Spiritistin. Sie erinnern an Bilder von Kandinsky, wobei dieser erst Jahre später zu seinem abstrakten Stil fand. Außerdem sind die Bilder zum Teil drei Meter hoch. Das sieht man auf den Buchseiten zwar nicht, es lässt sich aber die Intensität der Malereien erkennen.
Hilma af Klint war eine Pionierin der Kunst, ihrer Zeit voraus, sehr eigen und von einer Spiritualität geprägt, die für viele nur schwer verständlich ist, sich aber in ihren Malereien deutlich zeigt. Über Jahrzehnte war sie fast vergessen, ihre Bilder aber sind heute aktueller denn je. Ihre bedeutendsten Serien und Bilder ihres mehr als 1000 Gemälde umfassenden Werkes sind bis Februar 2021 in Malmö zu sehen und im dazugehörigen Buch. Ohne Laufzeit, direkt vom Sofa aus.
Leseempfehlung für: Alle, die es Schließungsbedingt nicht nach Malmö ins Moderna Museet schaffen und trotzdem eintauchen wollen in die wunderbar ätherische Welt der Hilma af Klint
Hilma af Klint – Artist, Researcher, Medium. Hatje Cantz Verlag, Berlin 2020. (engl.)
Hilma af Klint Biografie von Julia Voss
Quasi unabhängig von der großen Hilma af Klint Schau in Schweden erschien in diesem Frühjahr eine umfängliche Biografie über die Künstlerin. Die Autorin Julia Voss hatte sich das fünfte Werk unserer Sommerlektüre 2020 Empfehlung aufgemacht nach Stockholm, um so viel wie möglich über die bisher kaum gewürdigte Künstlerin af Klint zu erforschen. So hatsie unter anderem deren Nachlass studiert und dechiffriert, der für 20 Jahre nach ihrem Tod ungeöffnet in Kisten auf einem Dachboden verweilte, bevor es erlaubt war, ihn zu öffnen.
Als ihre Gemälde 1986 zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit gezeigt wurden, haben viele Kunsthistoriker sie nicht verstanden. Von abstraktem Gekrakel wurde gesprochen, der eines Vergleichs mit einem Kandinsky oder einem Malewitsch nicht würdig sei. Dabei hat sie vor diesen weltbekannten Männern bereits abstrakt gemalt.
Durch beharrliche Recherche hat Julia Voss sich der Gestalt Hilma af Klint genähert, sie durch ihren lebendigen Erzählstil wiederaufleben lassen und ihr eine würdige Biografie geschrieben. Af Klint verdient die Aufmerksamkeit, die sie jetzt bekommt. Vor allem aber muss die moderne Kunstgeschichte überarbeitet werden. Denn nicht etwa in München rund um das Jahr 1909 liegen die Anfänge der abstrakten europäischen Malerei, sondern in Stockholm, ca. 1906.
Lesempfehlung für: Neugierige Kunstfreunde und spiritistische Feminist_innen, die mehr über die schwedische Ausnahmekünstlerin erfahren wollen.
Julia Voss: Hilma af Klint – “Die Menschheit in Erstaunen versetzen”. S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2020. (dt.)
All the Stuff we cooked – Frederik Bille Brahe
Kopenhagen gilt als eine der coolsten Stände der Welt. Die Leuchte sind stylisch, alles ist irgendwie Design und man kommt quasi überall mit dem Fahrrad hin – der hügellosen Landschaft sei Dank. Auch typisch Kopenhagen ist die Liebe zu gutem Essen. Da gibt es die hochgeschätzte Sterneküche aka. das Noma, aber auch Restaurant und Bars, die einen casual Vibe haben, der dennoch sehr gutes Essen servieren. Frederik Bille Brahe betreibt drei dieser casual-chic Lokale. Er selbst wirkt meist selbst sehr tiefenentspannt, wenn er mit schlammigem Land Rover und Fischerhut durch die dänische Hauptstadt fährt. Gemeinsam mit Mette Hay hat er auch den HAY Kitchen Market entwickelt.
Nun hatte der Ausbruch der Pandemie dort in etwa die gleichen Folgen wie hier: Restaurants mussten schließen und wer konnte, arbeitet von Zuhause. Für einen Koch schwierig. Bille Brahe hat während dieser Zeit angefangen, seine Rezepte via Instagram zu teilen. Darunter sind seine populärsten Gerichte aus der Apollo Bar und Atelier September, wie Blaubeer Ricotta Toast und Zucchini Marmelade (beides probiert, ersteres ist unser persönlicher Favorit). Sie alle eint ihre Einfachheit. Wenige Zutaten, unkomplizierte Zubereitung, leckeres Ergebnis.
Und weil er schon eine Weile mit der Idee liebäugelte, ein Kochbuch zu veröffentlichen, hat er das jetzt mit den nicht weniger coolen Menschen von Apartamento getan. Herausgekommen ist eine nette, kompakte, primär vegetarische Rezeptsammlung, die ein bisschen nordisches Laissez-faire in die eigene Küche bringt. Genau das richtige, wenn man keine Lust mehr auf Pasta und Sauce hat.
Leseempfehlung für: Einsteigerhobbyköche, die Coronabedingt plötzlich häufiger selbst am Herd stehen und einfache, köstliche Gerichte lieben.
Frederik Bille Brahe: ALL THE STUFF WE COOKED. Apartamento Publishing S.L., Barcelona 2020. (engl.)
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