Sommer, Sonne und Sonette. Oder so ähnlich. Wie auch in den vergangenen Jahren verraten wir euch, welche Bücher wir in diesem Sommer lesen aka. unsere Sommerlektüre 2022. Diesmal nicht im Park oder auf dem Balkon, sondern wohlweißlich der Hitzewelle entkommend im Bett oder auf dem Sofa, uns hinter zugezogenen Vorhängen verschanzend. Klingt komisch, aber anders sind 38 Grad in der Stadt kaum auszuhalten: mit einem Buch (keinem warmlaufendem Gerät) in der einen Hand und einem erfrischendem Glas Wasser in der anderen.
Sommerlektüre 2022 – Was wir lesen

Jane Hall: Women Made. Great Woman Designers.

Bekommt im Buch gleich eine Doppelseite: Eileen Gray für ihren Bibendum Sessel und das legendäre Haus E 1027.
Women Made – Great Women Designers
Gestalterisches Arbeiten kennt kein Geschlecht. Und dennoch sind es scheinbar oft männliche Architekten und Designer, die als Meister des Entwurfs gelten. Das hat seine Gründe, nicht zuletzt ist eine der Ursachen der Zugang zu formaler Bildung und den Kunsthochschulen der Welt, den man sich a) leisten können musste, und b) Frauen bis Anfang des 20. Jahrhunderts oftmals verwehrt blieb. Frauen blieb oft nur folkloristische Kunst, in der sie sich kreativ verwirklichen konnten.
Das Buch Woman Made stellt die Geschlechterfrage in den Mittelpunkt, um die Erfahrungen von Frauen mit einer umfassenderen sozialen und politischen Emanzipation zu beleuchten, und präsentiert Möbel, Leuchten, Produkte und Textilien, die alle von Frauen entworfen wurden, um das Zuhause als Ort eines Großteils dieses Wandels zu verdeutlichen. Sie zeigt ein breites Spektrum von Frauen, die wie Margarete Schütte-Lihotzky (Entwerferin der Frankfurter Küche, sie war aber weitaus mehr als nur das) zur ersten Generation ihres Geschlechts gehörten, die Design studierten, viele mit einem Abschluss in Architektur, und die folglich insbesondere das Design von Möbeln als Teil der Politisierung des Innenraums betrachteten.
Zu unserer Sommerlektüre 2022 gehört Woman Made, weil es in kurzen Texten über mehr als 200 Designerinnen von der Moderne bis heute informiert und in korrespondierenden, großformatigen Bildern ihre bekanntesten Entwürfe zeigt. Aufschlussreich und kurzweilig, so lernt man fast ganz nebenbei Neues über Frauen in der Welt des Formgebens.
Leseempfehlung für: junge Designstudierende wie auch beginnende Sammler von Einrichtungsobjekten. Diese Gestalterinnen sollte man kennen und mit etwas Glück findet man das eine oder andere Objekt von ihnen mal auf einem Flohmarkt. Oder bei uns im Shop, wie die Componibili Container von Anna Castelli Ferrieri.
Jane Hall: Women Made. Great Woman Designers. Phaidon, London 2021. (engl. Ausgabe)

Nina Stritzler-Levin, Timo Riekko: Artek and the Aaltos: Creating a Modern World.

Ohne die Aaltos und Artek wäre das finnische Design, wie wir es kennen und schätzen, sicher ganz anders.
Artek and the Aaltos
Bekannt für die Herstellung von Aaltos berühmten Bugholzmöbeln, ist Artek ein vielseitiges Designunternehmen, das viele innovative Produkte schuf. Dieses umfangreich illustrierte Buch Artek and the Aaltos basiert auf einer außergewöhnlichen Bandbreite neu entdeckten Archivmaterials, das ein neues Licht auf die Geschichte von Artek wirft.
Es untersucht die enge Arbeitsbeziehung zwischen Alvar Aalto und Aino Marsio-Aalto und die entscheidende Rolle, die sie bei der Gründung und internationalen Entwicklung des Unternehmens spielten. Die Neuauflage in gebundener Form und mit vergrößertem Bildausschnitt legt größeren Wert auf die mehr als 500 Zeichnungen und Fotografien, darunter eine bisher unveröffentlichte Auswahl. Ein zusätzlicher Zeitstrahl, der die parallele Geschichte von Artek und Aaltos Büro nachzeichnet, bietet ein noch nie dagewesenes Verständnis für die vielen Projekte, die sie gemeinsam geschaffen haben.
Die neu überarbeitete und erweiterte Studie über das weltberühmte finnische Designunternehmen Artek basiert auf dem Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung am Bard Gradute Center 2016. Auf 696 hauchdünnen Seiten bekommt man einen umfassenden Einblick in die Unternehmensgeschichte und die wegweisende Arbeit der Aaltos. Besonders spannend ist der Blick auf die zahlreichen technischen Zeichnungen zu Entwürfen und Grundrissen. Ein faszinierendes Buch für die Sommerlektüre 2022, die aber nicht unbedingt für das Lesen am Strand zu empfehlen ist. Besser während einer Hitzewelle im kühlen Wohnbereich.
Leseempfehlung für: alle, die tief eintauchen wollen in die Welt der ikonischen Marke. Und mit tief meinen wir Tiefseetauchen. In die Materie. Es lohnt sich aber auch, einfach immer mal wieder zu blättern. Es gibt wahnsinnig viel zu sehen und zu lesen.
Nina Stritzler-Levin, Timo Riekko: Artek and the Aaltos: Creating a Modern World. BGC Yale, Yale 2022. (engl. Ausgabe)

Muller Van Severen. Dialogue: Works 2011-21 .

Blick ins Atelier des aus Ghent kommenden Designerpaares Fien Muller und Hannes van Severen aus dem Buch Dialogue.
Muller Van Severen. Dialogue.
Aktuell gehört das Designerduo Muller Van Severen wohl zu den spannendsten Designer Europas. Sie bewegen sich mit ihren Arbeiten oft zwischen Kunst und Design, ihre Entwürfe sind häufig geprägt von raumgreifender Größe, mehr Skulptur als bequemes Möbel. Ihre Möbel, Leuchten und Objekte befinden sich dabei immer im Dialog miteinander, dem Raum und der Umwelt. Passend also, dass die Werkschau Muller Van Severen: Dialogue im Buchformat auch Dialoge mit Kuratoren und Peers der beiden Belgier umfasst.
Es geht um die Einflüsse der jeweiligen familiären Wurzeln auf die Arbeiten der beiden, und wie sie eine innovative und minimalistische moderne Möbelkollektion entwerfen. Durch Gespräche und visuelle Referenzen enthüllt diese Publikation die Ursprünge, die Komplexität und die in die DNA der Arbeit von Muller Van Severen eingebetteten Referenzen. Der Kurator Jan Boelen erforscht das Universum der Designer durch Interviews mit ihnen, mit der Kuratorin und Kritikerin Beatrice Galilee sowie mit den Architekten Arno Brandlhuber und Sam Chermayeff.
Im üppigen Fototeil bekommen wir ihre bisher geschaffenen Objekte zu sehen, von den architektonisch anmutenden Sessel-Regal-Konstruktionen, die sie nur auf Anfrage fertigen lassen, ihre Produkte für die Galerie Valerie_objects, wie den Alu Chair, und ihre Kooperation mit Reform. Die jüngsten Produkte aus der Zusammenarbeit mit HAY sind dabei jedoch ausgenommen, weil sie erst nach Fertigstellung des Buches lanciert wurden. Ein bisschen schade, aber vielleicht sind sie dann in der nächsten Monografie inkludiert.
Empfehlung für: Designenthusiasten, die längst wissen, dass das kleine Belgien nicht nur exzeptionelle Modedesigner:innen hervorbringt, sondern auch beim Produktdesign mit den skandinavischen Cool Kids mithalten kann.
Muller Van Severen: Dialogue. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2021. (engl. Ausgabe)

Hauke Wendler: Monobloc. Das Buch zum Dokumentarfilm.

Ein Stuhl, der für die einen eine ästhetische Beleidigung und für den anderen ein bezahlbares Möbel ist: der Monobloc.
Monobloc
Wenn es ein Möbel gibt, das von vielen geliebt wird zu hassen, dann düfte das wohl der Monobloc Stuhl sein, der Plastik gewordene Alptraum, der in den Gärten, Straßencafés und an den Stränden der Welt zuhause ist. Ein Möbel, dass den Kunststoff feiert und exemplarisch für die Wegwerfkultur der Globalisierung steht. Und das vielleicht demokratischste Möbel der der Welt, aus einem Stück im Spritzgussverfahren aus weißem (oder rotem, blauen, gelben etc.) Kunststoff gefertigt und billig zu bekommen.
Jede:r kennt den meist weißen Plastikstuhl. Spießiges Design, wird mit der Zeit immer unansehnlicher und doch ist es mit über einer Milliarde Exemplaren das meistverkaufte Möbelstück aller Zeiten. Hauke Wendler widmete dem Monobloc einen Dokumentarfilm, der hier als Fotobuch die Spuren des bekanntesten Stuhls der Welt verfolgt und Anekdoten zu diesem hässlichen Möbel erzählt. Wenn man das Buch dann irgendwann aus der Hand legt, erscheint der Monobloc uns plötzlich nicht mehr so banal und abstoßend, weil er vor allem etwas über uns erzählt. Als globale Gesellschaft, als Epoche und das Verhältnis zwischen arm und reich.
Empfehlung für: alle, die mit dieser Sommerlektüre 2022 ihrem inneren Designsnobismus etwas entgegensetzen wollen.
Hauke Wendler: Monobloc. Hatje Cantz, Berlin 2022. (dt. Ausgabe)
Comment
[…] Der Sommer in diesem Jahr zeigt, dass er auch Aprilwetter kann. Regen, Sonne, Hitze, Hagel, wo man auch Urlaub macht, kann man von mindestens einem Wetterphänomen überrascht werden. Eines lässt sich aber bei so ziemlich jedem Wetter tun: Lesen. Ob nach einer anstrengenden Bergwanderung in den Alpen, beim Sonnenbaden am eigenen Pool oder bei Regenwetter im schwedischen Schärengarten, mit einem guten Buch sind die Witterungsumstände um uns herum zweitrangig. Deshalb verraten wir, mit welchen Büchern wir uns die Sommerferien vertrieben haben. Mit dabei in unseren Lesetipps: Ein Fragebogen, ein Bilderbuch und ein Magazin. Unsere Sommerlektüre-Empfehlungen aus dem Vorjahr findet ihr im Übrigen hier. […]