Sommerzeit ist Ferienzeit ist Lesezeit. Auch wenn das Wetter gerade eher Richtung April tendiert, wandern wir auch in diesem Jahr mit einem Rucksack voller Lesestoff durch die Urlaubszeit. Unsere Sommerlektüre 2021 ist überschaubar gepackt, mit Bildbänden und Biografien, einem Exkurs in die Geschichte einer der bekanntesten europäischen Glasmanufakturen und in das Leben eines der exzentrischsten und stilprägenden Designer Italiens. Zugegeben, Reiseformat hat keines der Bücher wirklich, aber weite Reisen sind für viele von uns noch immer keine Option. Weshalb der Urlaub in der Hängematte und am Badeseestrand uns hier ganz gelegen kommt. Gepäckbeschränkungen werden uns da nämlich keine auferlegt und wir lesen, was wir tragen können.
Sommerlektüre 2021 – die Leseliste
Unsere Leseempfehlungen gehören für uns zum Sommer wie die Eiswürfel ins Cola-Glas. Unter unserern Vorschlägen für die Sommerlektüre 2021 finden vor allem Design-affine Menschen interessante Literatur. Den Auftakt macht die gerade erschienen Iittala Chronik, herausgegeben von der schweizer Architektin Florencia Colombo und ihrem Partner Ville Kokkonen. Außerdem dabei: Der Ausstellungskatalog zur absolut empfehlenswerten Ausstellung Deutsches Design im Vitra Designmuseum und das erste Buch der schwedisch-englischen Interior-Designerin Beata Heuman, deren Räume vor Farbe und Persönlichkeit fast zu platzen scheinen – im besten Sinne. Insgesamt haben wir fünf Buchvorschläge gesammelt, unter denen sicher für jede:n etwas passendes dabeisein dürfte.
Florencia Colombi, Ville Kokkonen: Iittala
Ganz oben auf unserer Sommerlektüre 2021 List steht die gerade erst erschienene Chronik von Iittala. Aus einer kleinen Glashütte in den finnischen Wäldern wuchs eine der einflussreichsten Designmarken der Welt heran. Tapio Wirkkala, Aino und Alvar Aalto, Jasper Morrison – um nur ein paar der Formgeber:innen zu nennen, die mit dem Glas- und Keramikhersteller zusammengearbeitet haben. Die 140-jährige Geschichte Iittalas wird in diesem Band nun erstmals mit zahlreichen Bildern und im zeitlichen Kontext kommentiert zusammengefasst.
Iittala ist zu einem weltbekannten Botschafter finnischen Designs geworden und maßgeblich am Ruf der nordischen Ästhetik beteiligt: sachlich & funktional, handwerklich gut gemacht und von der Natur inspiriert. Wie vielseitig das Design der letzten 140 Jahre sein kann, auch das zeigt das Buch. Auch sind die innovativen Herstellungsmethoden und die fortschrittliche Philosophie der Marke hier umfangreich dokumentiert. Über 1000 Kulturschaffende wurden von den Herausgebern befragt, von Künstlern und Forschern bis hin zu Galeristen, Museumsdirektoren und Sammlern. Die Chronik zeichnet den Aufstieg von der kleinen Glashütte zur weltbekannten Marke auf und vereint sie zu einem sehens- und lesenswerten Buch für alle Fans von zeitlos-schönen Glasobjekten.
Wo lesen wir das? Auf dem Sofa, auf der Terrasse, eigentlich überall, denn die 400 Seiten des Buches sind vollgepackt mit interessanten Texten und farbigen Bildern von ätherisch-schönen Glas- und Tischobjekten. Einmal in der Hand legt man es nicht so schnell wieder zur Seite.
Florencia Colombo, Ville Kokkonen: „Iittala“, Phaidon Press Limited, London, 2021. (engl.)
Deutsches Design 1961-1989. Zwei Länder, eine Geschichte.
Im Westen nichts Neues und im Osten alles aus Plaste [sic], so in etwa lauten die gängigen Klischees zu Design Made in Germany in der Zeit zwischen Bauhaus und Wiedervereinigung. Wie sehr das tatsächlich der Realität in den beiden deutschen Staaten widersprach beleuchtet dieses die aktuelle Ausstellung im Vitra Design Museum begleitende Buch. Das neue und spannende ist hier die Gegenüberstellung beider Länder und ihrem Produkt- und Möbeldesign. Was dabei auffällig wird, ist die Ähnlichkeit der Entwürfe.
Design hatte im Alltag beider Systeme eine wichtige Rolle. Auf der einen Seite die Sachlichkeit und Funktionalität, auf der anderen der einfallsreiche Umgang mit knappen Ressourcen. Besonders gelungen sind die direkten Gegenüberstellungen von DDR- und BRD-Design. Denn hier wird deutlich, wie viel Gemeinsames doch drinsteckt. Und es illustriert eindrucksvoll, wie viele Facetten das deutsche Design der Nachkriegszeit hatte. Es kommen Kunsthistoriker und Akteure zu Wort, darunter Renate Müller (Schöpferin der sogenannten Rupfentiere) und Dieter Ram (Stichworte: Braun, Vitsoe Regalsystem… muss man den Grand Seigneur des deutschen Designs eigentlich noch vorstellen?)
Wo lesen wir das? An einem Sonntagmorgen auf der Terrasse. Am Nachmittag erst schaut man auf und bemerkt, dass man den halben Tag mit diesem Buch auf dem Schoß verbracht hat.
Extratipp: Die sehr sehenswerte Ausstellung zum Buch (oder ist es umgekehrt?) läuft noch bis 5. September 2021 im Vitra Design Museum in Weil am Rhein. Danach zieht sie weiter nach Dresden, wo sie vom 15. Oktober 2021 bis 20. Februar 2022 im Kunstgewerbemuseum zu sehen sein wird.
„Deutsches Design 1949–1989. Zwei Länder, eine Geschichte“, Vitra Design Museum, Basel 2021. (dt.)
Beata Heuman: Every Room should Sing
Es gibt in der Interior-Blase gerade kaum eine Einrichterin, die so sehr gefeiert wird, wie die in England lebende Schwedin Beata Heuman. Das mag an der sich aus diesen beiden Designeinflüssen ergebenden Ästhetik liegen, die englischen Cottage-Style mit skandinavischer Materialverliebtheit und Farbigkeit kombiniert. Vielleicht ist es aber auch die undogmatische Philosophie Heumans, die zu Mustermix, Farbschlacht und ein bisschen Kitsch animiert. „Every Room should Sing“ ist eine bildgewaltige Einladung, das Zuhause individuell und bunt wie das Leben zu gestalten. Selbst Handanlegen gehört da genauso dazu, wie Räume mit der Zeit wachsen zu lassen.
Ihr eklektischer Stil fällt auf zwischen den oft sehr ähnlich aussehenden Räumen auf Instagram, Pinterest und Co. Ihr Geheimnis: Das Gewöhnliche ausgewöhnlich gestalten und wahrlich einzigartige Räume schaffen.
Jedes Kapitel ist einem Projekt und einem Themenschwerpunkt gewidmet. Sie gibt Einrichtungstipps, teilt Skizzen und Details zu den entsprechenden Einrichtungsprojekten und liefert dabei viel Inspiration für die eigenen vier Wände. Die Welt, oder besser, das Zuhause in Technicolor gefällt sicherlich nicht jedem/jeder, ihre Stilsicherheit und der absolut gekonnte Umgang mit Farben und Texturen beeindrucken auf jeden Fall.
Wo lesen wir das? In der Badewanne. Und bekommen direkt Lust, Decke und Wände im Badezimmer in kräftigem Senf zu streichen und leuchtend grüne Akzente zu setzen. Die Farbkarte ist bestellt!
Beate Heuman: „Every Room should Sing“, Rizzoli, New York, 2021. (engl.)
Deyan Sudjic: Ettore Sottsass and the Poetry of Things
Bunt, witzig und laut war das Design des Künstlerkollektivs Memphis, das 1980 unter anderem von Ettore Sottsass und Michele De Lucchi ins Leben gerufen wurde. Neu wollten die Möbel und Einrichtungsgegenstände sein, das heißt laut und bunt und voller Witz. Weit weg von nüchternerer Sachlichkeit und Funktionalismus, aber auch von der biederen Konventionalität des bis dahin typisch italienischen Designs. Schwarz, Weiß und poppige Farben zeichneten die neue Stilrichtung aus. Leitfigur und bis heute der bekannteste Vertreter war Ettore Sottsass.
Sottsass aber war mehr als nur Memphis. In seiner lange währenden Designkarriere erreichte er Bekanntheit für seine Entwürfe für den Bürogerätehersteller Olivetti, für seine peotisch-minimalistischen Objektskulpturen wie den Wandspiegel Ultrafragola und vieles mehr. Das Buch auf unserer Sommerlektüre 2021 Liste aber beschäftigt sich mit all diesen Dingen eher am Rande. In Deyan Sudjics Buch „Ettore Sottsass and the Poetry of Things” befasst sich mit der menschlichen Seite des berühmten Designkopfes.
Sottsass war ein akribischer Sammler, verwahrte beinahe jede Zeichnung, die er je anfertigte, und wenn er nicht zeichnete, dann fotografierte er. Er war trotz seiner Bekanntheit nie reich und urlaubte zugleich mit Milliardären und Künstlern wie Helmut Newton. Sottsass ist nicht leicht zu greifen und ebenso wie sein Werk facettenreich. Nur eines war beides nie: Belanglos.
Deyan Sudjic, der im übrigen auch an der Iittala Chronik als Autor gearbeitet hat, nimmt in „Ettore Sottsass and the Poetry of Things“ den/die Leser:innen mit in das Leben des legendären Formgebers, von der Kindheit über den Kriegsdienst hin zu acht Jahren Memphis. Sein 90 Jahre währendes Leben und zahlreiche Begegnungen mit den größten Künstlern seiner Zeit bieten ausreichend Lesestoff, dieses Buch hält es wunderbar kurzweilig, ohne dass man das Gefühl hat, etwas Essentielles zu verpassen oder unangenehm privat zu werden.
Wo lesen wir das? Am Pool. Mit einem bunten Getränk in einem unnötig langhalsigen Glas in der Hand. Obendrauf vielleicht noch ein rotes Schirmchen. Das hätte dem Meister des Anti-Designs vielleicht ein kleines Lächeln entlockt.
Deyan Sidjic: “Ettore Sottsass and the Poetry of Things”, Phaidon Press Limited, 2019.
Faye Toogood: Assemblage 6: Unlearning
Wir erinnern uns noch gut daran, an das Frühjahr 2020, als viele Menschen kollektiv Zuhause blieben und sich nach dem Arbeitstag im Homeoffice auf kreative Weise beschäftigten. Bananenbrot backen, Photobücher erstellen, Malen (sowohl Wände als auch Leinwände), etc.
So ähnlich muss es auch der britischen Designerin Faye Toogood ergangen sein, die in etwa zu dieser Zeit mit den Skulpturen für ihre Ausstellung „Assemblage 6: Unlearning“ begann. Aus Materialien, die sie Zuhause und im Studio rumliegen hatte, schuf sie fast 300 Möbel und Skulpturen – im Kleinformat. Anstatt wie sonst mit einer Grundüberlegung und Skizzen sich einem Objekt zu nähern, ging sie dabei intuitiver vor. Einfach mal machen, scheint das Credo gewesen zu sein. Die kleinen Skulpturen sind Toogoods Versuch, den jahrelang erprobten Designprozess zu verlernen. Und damit neu zu begreifen. Aus all ihren Miniaturen wählte sie schließlich 17 aus, die in Life-size gefertigt wurden.
Ein Jahr später bringt Apartamento das Projekt nun in papierform und zum Durchblättern heraus. Klar, dass es deshalb in unseren Empfehlungen zur Sommerlektüre 2021 vertreten ist. Das Buch gibt einen spannenden Einblick in den kreativen Prozess der erfolgreichen Designerin und regt dabei auch zum Nachmachen an. Mit Papier, Champagnerdraht und Klebeband lassen sich schöne kleine Modelle fertigen. Alles, was man braucht, ist ein bisschen Fingerspitzengefühl und 5 Minuten Zeit. Beim Durchblättern von „Assemblage 6: Unlearning“ finden wir Inspiration zur Genüge.
Wo lesen wir das? Zuhause am Küchentisch, wo wir aus Butterbrotpapier und Kronkorken gleich selbst ein paar „Möbel“ en miniature basteln.
Faye Toogood: „Assemblage 6: Unlearning“, Apartamento Publishing S.L., Barcelona, 2021. (engl.)
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